– Meine bessere Schwester –

Rebecca Wait

-Meine bessere Schwester- von Rebecca Wait lässt mich mit gemischten Gefühlen zurück. 

Die Leseprobe bei @vorablesen klang vielversprechend, woraufhin ich in den Topf gehüpft bin. Umso glücklicher war ich, als ich tatsächlich gelost wurde.

Alice und Hanna sind Zwillingsschwestern und doch in vielen Dingen völlig unterschiedlich. Der Roman startet mit einer Beerdigung. Alice ordnet sich immer unter – insbesondere bei ihrer dominanten Mutter Celia, während Zwillingsschwester Hanna eher eine Draufgängerin ist, die sich vom Leben treiben lässt, wenn auch immer mal wieder mit einigen Schwierigkeiten.

In -Meine bessere Schwester- geht es um die angespannten Familienverhältnisse dieser Dreierkonstellation an Frauen. Normalerweise eine wirklich gute Ausgangsposition für ein gutes Buch, jedoch hatte ich stark Mühe Sympathie für eine der Figuren zu entwickeln und es fiel mir an so mancher Stelle schwer dranzubleiben.

Während ich Mama Celia als so richtig toxisch und unausstehlich empfunden habe, wollte ich der teils im Wesen passiven Alice ein “Nun mach schon” zurufen. Selbstzweifel durch und durch.

Durch regelmäßige Zeitsprünge wird der Lesefluss oft unterbrochen, was mir beim Lesen ein wenig auf die Nerven ging.

Leider muss ich sagen, dass ich mir nach der Leseprobe ein wenig mehr von diesem Roman versprochen habe. Viel Potential mit dem Thema der schwierigen Familienverhältnisse und psychischer Erkrankungen, doch leider schwächer als ich erwartet hatte. Kein überragendes – aber auch kein schlechtes Buch. Irgendetwas dazwischen.

– Nachmittage –

Ferdinand von Schirach

“Die Tage damals vergingen ohne Widerstand, nichts fiel mir schwer, und nichts zählte. Ich glaubte, ich sei davongekommen und der dunkelgrüne Park und das Internat und meine Familie lägen hinter mir und seien nicht mehr die Wahrheit. Es schien nun etwas anderes möglich zu werden. Dieses neue Leben gehörte mir: die leuchtenden Morgen des Frühsommers, Kaffee mit ihr unter der Kastanie, die Farbe der Nachmittage ohne Vergangenheit. Nur stimmte es nicht, wir müssen immer bezahlen. Jede unserer Handlungen beruht auf längst schon getroffenen Entscheidungen, wir entkommen uns nicht, ganz gleich, was wir tun.”

Ferdinand von Schirachs neuesten Erzählband -Nachmittage- würde ich als “Deutsches Saudade” bezeichnen.

In sechsundzwanzig Stories nimmt er uns mit auf eine Reise nostalgischer Wehmut. Es sind Begegnungen nach Lesungen, in Bars und Reisen an viele Orte der ganzen Welt, die ihn als Erzähler mit alten Freunden oder völlig Fremden zusammenführt.

Lustigerweise hatte ich öfter Bill Murray in -Lost in Translation- vor Augen und ein Kapitel weiter bezog sich von Schirach tatsächlich auf diesen Film. Hier musste ich kurz auflachen. Chapeau!

Ein inspirierendes Buch, welches von der Vergänglichkeit des Lebens erzählt und wie oft sich ein Blick hinter die Kulissen lohnt.

Süße Melancholie garantiert!

– Junischnee –

Ljuba Arnautović

Junischnee von Ljuba Arnautović ist eines dieser “unangenehm schönen” Bücher, deren Inhalt immer wieder zwickt, ja gar wehtut. Manchmal sind diese Wunden aber nötig um über das scheinbar Unaussprechliche zu reden.

Als die Wienerin Eva ihre beiden Söhne Slavko und Karl 1934 fortschickt, um sie vor den Nationalsozialisten zu schützen, ahnt sie noch nicht welche Folgen diese Entscheidung haben wird.

Anfangs wurden die Brüder vom Kinderschutzbund aus zu Ferien auf die Krim geschickt und später in ein luxuriöses Heim. Doch als der Nichtangriffspakt von Hitler gebrochen wird, steckt man Slavko in eine Fabrik und Karl in ein Kinderheim. Als sogenannte Volksfeinde werden sie unter der politischen Willkür der Sowjets in Arbeitslager gesteckt. Von Slavko fehlt irgendwann jede Spur.

Karl hingegen macht “Karriere” und sich während seiner Zeit in Arbeitslager und Gulag einen Namen als Viktor bei den wory w zakone. (Diebe im Gesetz) Seine zukünftige Frau Nina lernt er in besagtem Gulag kennen und sehnt seine Entlassung herbei.

Die Ehe läuft anfangs gut, doch mit dem Besuch bei der Wiener Schwiegermutter Eva, fühlt sich Nina schnell verloren und das Heimweh droht sie in den Abgrund zu ziehen. Karl möchte hiervon wenig wissen und Nina muss erkennen, dass ihr Mann in den vielen Jahren im Lager scheinbar einiges seiner Menschlichkeit eingebüßt hat.

Ein autofiktionaler Roman, der einem stellenweise die Luft abschnürt, sodass man zuerst ein Fenster öffnen und tief einatmen möchte. Erschütternd und zugleich beeindruckend unsentimental arbeitet Ljuba Arnautović ihre Familiengeschichte auf.

Sie findet schnörkellose Worte um den Erinnerungen Raum zu geben und lässt diese dadurch um so gewaltiger erscheinen. Trotz der distanzierten Erzählweise geht einem die ganze Geschichte sehr nah.

– Verbrenn all meine Briefe –

Alex Schulman

Ein autofiktionaler Roman über vererbte Wut, die sich über Generationen hinweg durch die Familie frisst und alles vergiftet. 

Familienvater Alex erkennt während seiner Therapie, dass die Wurzel seiner Wut in der Vergangenheit liegt. Als er sich mit den Büchern und Schriften seines Schriftsteller-Großvaters Sven Stolpe auseinandersetzt, wird ihm klar das hier der Ursprung seiner Probleme liegen muss.

Alex Schulman verwendet Ereignisse, die auf wahrer Begebenheit beruhen um eine Geschichte über Traumata und ihre Auswirkungen auf unser Umfeld zu kreieren. Für mich kam die Auseinandersetzung zu kurz. Auch wenn der Protagonist herausgefunden haben will, woher seine Probleme stammen, hat er für mich keinerlei Entwicklung gemacht. Was hat ihm die Einsicht gebracht? Wie nutzt er das Wissen um diese Geschehnisse um seine Wut unter Kontrolle zu bringen oder aufzulösen?
Hier fehlt definitiv ein befriedigender Abschluss.

Es ist ein solider Roman, der sprachlich und relativ spannend unterhalten kann, doch hat mich „Die Überlebenden“ weitaus besser mitgerissen.

Übersetzung: Hanna Granz

Lesexemplar zur Verfügung gestellt durch @vorablesen

– Ursprung –

Eva Tind

Es beginnt damit, dass Sui sagt: Ich ziehe aus.
Ein Satz, der Kai völlig aus der Bahn wirft, da seine 18 jährige Tochter für ihn das Wichtigste in der Welt ist.

Mit Mitte Zwanzig hat er einen One-Night-Stand mit der deutlich älteren Künstlerin Miriam.
Die gemeinsame Nacht bleibt nicht folgenlos und Miriam stellt bald darauf fest, dass sie mit einundfünfzig Jahren schwanger geworden ist. Da sie sich ausschließlich ihrer Kunst hingeben will und keinesfalls im Sinn hat eine Mutter zu werden, überlegt sie zunächst abzutreiben. Doch ein seltsames, unerklärliches Pflichtgefühl lässt sie zu dem Entschluss kommen Kai aufzusuchen und ihm das Kind zu überlassen. Dieser überlegt nicht lang, übernimmt das Sorgerecht und sieht als alleinerziehender Vater seiner Tochter beim Heranwachsen zu.

Mit dem Auszug Suis, verfällt Kai zunächst in Depressionen. Er beschließt die Arbeit in seinem Architekturbüro hinter sich zu lassen und an einem Yoga-Retreat in Indien teilzunehmen. Hier findet er neue Kraft und bietet der Gemeinschaft sein spezielles Talent des Handauflegens an.
Sui bricht ebenso aus ihrem Alltag aus, nachdem sie sich von ihrem egomanen Freund getrennt hat. Sie verlässt Kopenhagen um ihre Mutter Miriam aufzusuchen und Antworten auf die Fragen ihres Lebens zu erhalten. Miriam hat sich über die Jahre kaum geändert. Sie spürt zwar nach wie vor eine Art Verantwortung für das nun erwachsene Kind welches sie einst gebar, doch besteht sie weiterhin darauf, nicht als -Mama- angesprochen zu werden und zeigt auch sonst keine Zeichen des sich Annäherns.
Sui beschließt weiterzuziehen und die Suche nach sich selbst mit der Suche nach den koreanischen Wurzeln ihres Vaters Kai auf der Insel Marado zu verbinden.
Dort angelangt beginnt sie bei ihrer Großmutter, einer Perlentaucherin, Fuß zu fassen und sich dem Schreiben zu öffnen.

Vorneweg – ich höre schon die Kritiker:innen, dass die Handlung an manchen Stellen ein wenig zu kitschig ist, aber wisst ihr was? Es ist mir egal.
Drückt hier mal ein Auge zu, denn dieses Buch ist so voller Wärme, Witz und außergewöhnlichen Figuren, dass ich kaum genug Worte finde, um meine Gedanken und Gefühle zu beschreiben.

Eva Tind schreibt in wundervollen Bildern und bezaubert durch schlichte, elegante Dialoge über die Suche zu sich selbst, über sich angenommen fühlen und über Selbstverwirklichung. Manches finden wir selbst in uns und manches können nur andere in uns entdecken.
Meine Hochachtung an Ursel Allenstein, deren Übersetzung einfach kongenial ist. Selten liest man so klare, kluge Gedanken in so fließenden poetischen Sätzen.
Ich liebe alles an diesem Roman!

Vielen Dank für das tolle Gespräch auf der Buchmesse @mareverlag
[unbezahlt/ Leseexemplar]

– Der Exlover –

Valerie Wilson Wesley

Die alleinerziehende Schwarze Privatdetektivin Tamara Hayle ist tough, klug und halt als ehemalige Polizistin einen guten Riecher wenn es um Ermittlungsarbeit geht.

Da sie finanziell immer gerade so über die Runden kommt, nimmt sie, wenn auch mit ein wenig Bauchschmerzen, den Auftrag und den dazugehörenden Scheck des Investmentbankers Lincoln Storey an.

Sie soll für ihn den Freund seiner Stieftochter Alexa observieren. Dieser Freund ist kein geringerer als Tamaras Exlover Brandon Pike, der sie vor einigen Jahren hatte fallen lassen.

Diese Tatsache geht nicht spurlos an ihr vorbei, doch sie beginnt ihre Ermittlungen. Während einer Veranstaltung auf der sie Brandon beschatten möchte, bricht ihr Auftraggeber zusammen und stirbt.

Schnell steht fest, dass es hierbei um Mord handelt und die Polizei präsentiert ebenso flott eine Verdächtige: Tasha – die kleine Schwester ihrer Nachbarin Wyvetta. Was zuerst als Freundschaftsdienst begann, bringt Tamara im Laufe ihrer Nachforschungen immer mehr in Gefahr.

Die Tamara-Hayle Reihe von Valerie Wilson Wesley gehört zu meinen Highlights im gesamten #diogenes Sortiment. Die Begeisterung für diese Bücher hat mich nicht mehr losgelassen seit 2009 als ich das erste Mal damit in Berührung kam. Wilson Wesley schrieb schon in den 90ern über eine Schwarze, starke Frau die sich in der Welt der Gangster behaupten kann und gleichzeitig liebevoll ihren Sohn Jamal allein aufzieht.

Wenn ich an meine damalige Leseerfahrung zurückdenke, weiß ich, dass ich bereits rudimentär sensibilisiert war. Doch heute seit #blacklivesmatter, meiner stetigen Auseinandersetzung mit strukturellem #Rassismus und meinen Privilegien, hat sich -Der Exlover- nochmal völlig anders gelesen. Es ist unglaublich wie die Autorin schon damals, wenn auch eher subtil, ihre Gesellschaftskritik in die Handlung eingewoben hat. Ob es das Männlichkeitsbild Schwarzer Männer betrifft oder die unterschiedliche Behandlung von PoC mit hellerem oder dunklerem Hautton.

Auch die Behandlung durch die Polizei bleibt nicht unkommentiert.

Ich musste direkt an die ganzen Kritiker:innen denken, die immer behaupten die Rassismusdebatte wäre eine Modeerscheinung weil es „in“ sei sich über alles aufzuregen. Diesen Menschen würde ich gerne diese Bücher in die Hand drücken, denn Valerie Wilson Wesley hat schon in den Neunzigern den Finger auf Dinge gezeigt, die bis heute aktuell sind.

Tragisch, dass wir noch nicht viel weiter sind. 

Klare Empfehlung für -Der Exlover- ❤️

– Simón –

Miqui Otero

Vor einiger Zeit bin ich beim Stöbern in der Buchhandlung über “Simón” von Miqui Otero gestolpert. Geschrieben von einem spanischen Autor, dachte ich mir gleich, dies wäre eine gute Gelegenheit ein Buch des diesjährigen Ehrengastlandes der #fbm22 zu lesen.

Der junge Simón und sein älterer Cousin Rico stehen sich sehr nahe. Ihre Familie führt in Barcelona eine Kneipe, das Baraja, in dem sie tagein tagaus mithelfen und deren Stammgäste sich aus einem illustren Haufen unterschiedlichster Charaktere zusammensetzen.

Rico unterweist seinen geliebten Cousin-Bruder Simón in der Welt der Literatur und Musik. Regelmäßig bringt er ihm Bücher vom örtlichen Flohmarkt mit, deren Abenteuer, Weisheiten und Zitate Simón sein ganzes Leben lang begleiten werden.

Als Rico eines Tages völlig unerwartet verschwindet, bricht für Simón eine Welt zusammen.

“Er wusste es noch nicht, natürlich nicht, aber es würde nicht einfach werden. Mit diesen Idealen und Hoffnungen hatte sein Cousin-Bruder ihn zu jemandem gemacht, der mit erhobener Gabel durch eine Welt geht, in der nur Suppe serviert wird.”

Nachdem Simón ohne seinen geliebten Cousin-Bruder sozusagen auf sich allein gestellt ist, beginnt er sein eigenes Leben zu leben, lernt die grünhaarige Estela kennen, deren Mutter gebrauchte Bücher verkauft, beginnt eine Kochausbildung, verliebt sich und muss mit dem ein oder anderen Rückschlag zurechtkommen.

Einige Jahre später kehrt er zu seiner Familie ins Baraja zurück und trifft auch wieder auf Rico, den es ebenso wieder nach Hause gezogen hat.

Und damit beginnt noch ein weiterer Abschnitt in ihren Leben…

“Das Erste, was man lernt, wenn man im Stadtteil der Bücher aufwächst, der Bücher mit vielen Leben, der Bücher mit vielen möglichen Leben, ist, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem preis und dem Wert der Dinge. Der Preis ist das, was andere dem geben, was sie dir verkaufen wollen, und der Wert ist das, was du dem gibst, was du erreichen willst.”

-Simón- von Miqui Otero ist kein Buch, welches man mal eben in Bus oder Bahn liest. Auf diesen Roman muss man sich wirklich einlassen. Der Autor bedient sich einer sehr überschwänglichen, speziellen Sprache. Immer wieder spricht er uns direkt an und erzählt, erklärt, fabuliert über “unseren Helden”.

In drei Teile gegliedert verfolgen wir in kurzen Kapiteln die Lebensabschnitte der Hauptfigur, die aber immer wieder durch Zeitsprünge nach vorne katapultiert wird. Dies hat mich hier und da tatsächlich gestört. Es wurde zwar kurz angerissen was in der Zwischenzeit geschehen ist – dies war mir aber auf Dauer zu wenig.

Die Handlung hat seine Schwächen und schafft es nicht so recht die Spannung aufrecht zu erhalten.

Dafür muss ich aber die pittoreske Sprache, die vielen wunderschöne Zitate und die Liebe für Literatur besonders hervorheben.

Ich kann nur spekulieren wie ausschweifend es sich auf Spanisch liest, möchte aber dem Übersetzer Matthias Strobel mein Lob aussprechen, der einen literarischen Wortreichtum zu Papier gebracht hat, wie man ihn selten sieht.

Ich werde sicherlich auf der Frankfurter Buchmesse weitere Eindrücke der spanischen Literatur genießen dürfen und freue mich darauf!