– Anleitung ein anderer zu werden –

Édouard Louis

Mit -Anleitung ein anderer zu werden- hat Edouard Louis den schonungslosen Seelenstriptease perfektioniert und bringt die Geschichte um -Das Ende von Eddy- zum Abschluss.

Nicht nur Bildung rettet Edouard aus dem dörflichen, rechtslastigen Milieu, sondern auch das starke Gefühl der Rache, dass ihn zu Bestleistungen anpeitscht und immer wieder weitermachen lässt. Während er im heimatlichen Dorf nur als verarmter Schwuler gilt, der mit einer viel zu hohen Stimme spricht und seinen Vater mit seiner “Unmännlichkeit” ein ums andere Mal enttäuscht, keimt in ihm der Wunsch auf, sich selbst neu zu erfinden.

Auf dem Gymnasium findet er in Mitschülerin Elena und deren wohlhabender Familie erste Rollenvorbilder. Hier wird ihm zum ersten Mal klar, wie groß die Unterschiede zwischen seiner Familie und der ihren ist. Seine Mutter hat ihm nie vorgelesen oder Tischmanieren beigebracht, statt Theater und Gespräch gab es bei ihm zu Hause nur den Fernseher. Allmählich wird Edouard klar, dass seine Lebensrealität nicht die der anderen ist.

Er versucht sich alles anzueignen, was ihm bisher fremd war. Er lernt wie man isst, wie man spricht, wie es ist anregende Gespräche zu führen. Auch sein Äußeres optimiert er immer wieder durch Frisur und Kleidung. Je mehr er zu einem anderen wird, desto weniger bleibt er “Eddy” und entfernt sich so weit wie möglich von der ihm verhassten primitiven Beschränktheit des Dorfes.

Durch Zufall wird die Lesung und ein anschließendes Treffen mit Didier Eribon zu seiner Autobiografie -Rückkehr nach Reims- zu einem schicksalhaften Markstein in Edouards bisherigen Leben. Er beschließt nicht mehr der Edouard sein zu wollen, der er durch Elena in Amiens wurde, sondern nun will er besser sein. Mit diesem Ehrgeiz und mit Didier als Mentor, den er verehrt, zu dem er aufblickt und mit dem ihn langsam eine Art Freundschaft verbindet, gelingt ihm die Aufnahme an die renommierte École normale supérieure. Er entwickelt sich in Paris weiter, bekennt sich zu seiner Sexualität und lebt diese nun bewusst aus, schreibt und lebt…und versucht eine immer bessere Version seiner selbst zu werden.

Nach diesem Roman ist eines klar – Edouard Louis hat meiner Meinung nach noch viel vor sich. Seine ergreifenden, schmerzhaften Schilderungen der Selbstzweifel, der Scham und der vielen Komplexe lassen uns tief hineinblicken in seine Abgründe und das schwierige Verhältnis zu seiner Familie.

Doch gab es auch Momente ihn denen ich mir dachte: “Oh nein Mann, jetzt bist du aber schon etwas sehr milde mit dir.”

Vor allem in Bezug auf Elena und ihre Familie werden im gegenüber Vorwürfe laut er hätte von dem Umgang profitiert und man muss sagen, dass die eingeschobene Entschuldigung an die damals so enge Freundin schon eher lasch ist. Er -hat- viel profitiert, er hatte viele Gönner, viele Helfer bei seiner Verwandlung. Diese hat er auf dem Weg „nach oben“ zurückgelassen und die Irritation oder Ärger darüber ist durchaus berechtigt oder zumindest verständlich.

Wo zuerst das provinzielle Dorf das Objekt seiner Abscheu und seines Ekels war, folgte ab dem Punkt an dem er „mehr wollte“ nun Amiens. Dies ist natürlich legitim, aber kurzzeitig erscheint es beim Lesen, als würde er Amiens und das Dorf auf eine Stufe stellen.

Das hat mich persönlich etwas verärgert, denn er hat mit Elenas Familie gelebt, wurde aufgenommen und hat Unterstützung erfahren und sie haben nichts dafür erwartet. Indem er im Verlauf erzählt, er wollte nur weg, was das Dorf für ihn war, war jetzt Amiens. Niemand hat Dank erwartet, aber für mich war er dennoch undankbar.

Einen ganz klugen Gedankengang konnte ich in der Rezension von @booksaregayasfuck zum Thema Rassismus und Homophobie lesen, der mir auch sauer aufgestoßen ist. Nämlich – beides ist in allen Gesellschaftsschichten zu finden und nicht nur in einem hinterwäldlerischen Dorf.

Für mich ist -Anleitung ein anderer zu werden- bisher das beste Buch des Autors, doch ist er ganz klar noch nicht über seine Probleme hinweg, ganz gleich wieviel er an sich oder seinem Benehmen verändert.

Das Schreiben darüber lässt ihn hoffentlich eines Tages erkennen, dass ihm nichts übrig bleibt als seine Herkunft zu akzeptieren, das Beste daraus zu machen ohne auf das Dorf einzustiefeln und dass sein Vater auch nur ein Opfer seiner Umstände, Herkunft und des Systems ist.

Übersetzung: Sonja Finck

Erschienen bei: Aufbau Verlage

Veröffentlicht von booksandtwins

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