– Ein simpler Eingriff –

Yael Inokai

Auf der Station von Krankenschwester Meret werden neue und experimentive neurologische Eingriffe angewandt, um fast ausschließlich Frauen von ihren psychischen “Störungen” wie Wut zu befreien. Merets Aufgabe hierbei ist es, die Patientinnen zu betreuen. Der behandelnde Arzt ruft sie ab und zu in sein Büro um sich mit ihr zu unterhalten. Er sorgt auch dafür, dass sie sich voll und ganz auf die jeweils zu behandelnde Frau konzentrieren kann, indem er die Dienstpläne dementsprechend anpasst. Das die Eingriffe gegen die behandlungsbedürftigen Erkrankungen scheinbar nur ein Mittel sind um der unangepassten Frauen Herr zu werden, scheint Meret hierbei völlig auszublenden.

Sie hält an den starren Regeln und Strukturen im Krankenhaus fest und redet sich ein, dass den Frauen lediglich geholfen wird. Einem Arzt könne sie als Krankenschwester sowieso nichts entgegensetzen, da er es ja besser wissen muss. Außerdem fühlt sie sich geschmeichelt, dass der Arzt sie für diese wichtige Arbeit mit der neuen Methode ausgewählt hat.

Oft denkt sie an ihre unangepasste jüngere Schwester Bibi, die auch immer wieder mit ihrem Umfeld aneckt. Die Kindheit der beiden und ihres Bruders Wilm war durch Gewalt und gnadenloser Strenge des Vaters geprägt. Während Meret und Wilm sich angewöhnt haben, nichts zu hinterfragen und sich unterzuordnen, hat Bibi dies nie geschafft und bereist seitdem die Welt.

Als sie eine neue Zimmernachbarin erhält und sich schon bald in sie verliebt, verändert sich einiges. Meret beginnt durch die Gespräche mit Sarah die Arbeit aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Erstmals stellt sie die misogynen Praktiken an den vermeintlich kranken Frauen in Frage. Auch ihre Liebe und Beziehung zu Sarah würde als Abweichung der Norm gelten. Würde man sie beide auch versuchen zu “heilen”?

Schließlich schlägt die Behandlung ihrer Patientin Marianne fehl. Anstatt einer Besserung und Erlösung von der Wut und der Erkrankung, verblasst etwas in Mariannes Augen. Nach der Operation ist sie nie wieder dieselbe. Etwas von ihr ist für immer fort.

Endlich erkennt Meret, dass es hier nicht um Hilfe für diese Frauen geht, sondern vielmehr darum, dass sich deren gut betuchte Familien ihrer Probleme mit den Töchtern oder Ehefrauen entledigen möchten.

Yael Inokai hat hier ein subtiles Kammerspiel um Machtgefüge und gesellschaftliche Erwartungen an Frauen geschrieben. Vieles wird nicht laut ausgesprochen und ist doch sehr leicht zwischen den Zeilen herauszulesen. Die Autorin hat sich stark auf wenige Figuren konzentriert, was die Aussage des Buches umso gewichtiger erscheinen lässt, während schwer abzuschätzen ist zu welcher Zeit und an welchem Ort sich die Geschehnisse abspielen.

Ein brillantes Buch über weibliche Selbstbestimmung, Machtgefälle und gesellschaftliche Erwartungen wie eine Frau zu funktionieren hat.

Absolute Leseempfehlung.

Veröffentlicht von booksandtwins

Books/ Twinmom/ Reader/ Writer There's just parts of me that you can't have. No-one can.

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