– Kurzes Buch über Tobias –

Jakob Nolte

„Kurzes Buch über Tobias beschreibt in achtundvierzig Kapiteln das Leben des Schriftstellers, Pfarrers und Televangelisten Tobias Becker. Er wuchs in Niedersachsen auf und lebt in Berlin, spielt gern Tischtennis und wirkt Wunder. Auf einer Reise nach Belgrad verliebt er sich in einen Mann Namens Tobias und bekehrt sich zu Gott. Er wird Zeuge, wie Menschen zu Hasen werden, sich Liebe in Hass verwandelt und ein Flugzeug in den Alpen verbrennt. In Tobias Beckers Welt ist alles unausweichlich miteinander verwoben: Familie, Glauben, Subjekt und Gewalt. Es ist eine Welt voller Alpträume und Hoffnung.“

Ein Buch das mich wirklich sehr gefordert hat und ratlos zurücklässt.

Voller christlicher und popkultureller Verweise, die einen in einen Strudel hineinreissen und einen eigenartigen Sog erzeugen. Am meisten haben mich die eigentümlich arrangierten Textfragmente irritiert. Ein Sammelsurium an Sätzen, Ideen und Erzählungen.

Den Sinn würde ich in einem Satz folgendermaßen beschreiben: Der Weg eines weltlichen Mannes, der Zuflucht in der Religion und dem Spiritismus sucht.

Aber: Ich habe auch das Gefühl, dass ich vieles nicht verstanden habe. Für alle die das Buch lesen werden oder gelesen haben – meldet Euch bitte bei mir und helft mir auf die Sprünge.

Das Buch hat mich definitiv aus meiner Komfortzone geholt.

Widersprüchlich, unkonventionell und schräg.

Vielen Dank an den @suhrkampverlag für dieses Rezensionsexemplar.

– Die Vegetarierin –

Han Kang

Dieser Roman kommt oberflächlich daher, ist er aber ganz und gar nicht, wenn man mich fragt.

Yeong-hye lebt mit ihrem Ehemann ganz gewöhnlich. Die leidenschaftslose, unauffällige Frau hat sich in die Rolle einer pflichtbewussten Hausfrau gefügt. Ihr Mann ist sehr zufrieden mit seiner Wahl, denn Yeong-hye macht ihm keinerlei Probleme und stellt auch sonst keine Ansprüche.


„Eine Schöne, Intelligente, eine betörend Sinnliche oder gar eine Tochter aus reichem Haus hätte mein Leben sicher durcheinandergebracht.“

Eines nachts träumt Yeong-hye einen brutalen, blutigen Traum, der sie dazu veranlasst alles Fleisch, Fisch und sonstige tierische Produkte wegzuwerfen. Fortan will sie nur noch vegetarisch leben.

Diese Entscheidung stößt sowohl bei ihrem Ehemann als auch ihrer Familie auf völliges Unverständnis, da ihr Verhalten gesellschaftlich als aufmüpfig gilt. Doch es geht noch weiter. Yeong-hye beginnt sich regelmäßig zu entkleiden, verweigert bald jegliche Nahrung und möchte zukünftig als Baum weiterleben.

Eine ungewöhnliche Geschichte, in der die Protagonistin keinen anderen Ausweg sieht, als die Metamorphose in eine Pflanze. Dieser Roman, der in drei Teile gegliedert wurde, ist eine Anklage an das patriarchalische System Südkoreas.

Um sich gegen die verkrusteten, frauenfeindlichen Strukturen aufzulehnen, möchte Yeong-hye wenigstens über ihren eigenen Körper bestimmen um so der grenzenlosen Ohnmacht die sie empfindet Ausdruck zu verleihen. Doch nicht einmal diese Art Widerstand wird ihr zugestanden. Auch hier soll sie sich fügen und wird durch ihre Umgebung fremdbestimmt.

Han Kang schreibt eine surreale Parabel über eine Frau, die selbst in ihrem eigenen Körper gefangen zu sein scheint.

Lakonisch, beklemmend und subversiv.

Für alle, die das Buch bereits vor ein paar Jahren gelesen haben, empfehle ich einen re-read nach der Lektüre von „Kim Jiyoung, geboren 1982“. Sollten damals noch Fragen offen geblieben sein, hat man danach einen ganz neuen Blick auf dieses Buch.

– Der süße Wahn –

Patricia Highsmith

Die Geschichte einer unerwiderten Liebe…

David Kelsey, Chemiker, ist unsterblich in Annabelle verliebt. Seine Angebetete aber heiratet einen anderen. Da David das weder glauben kann noch hinnehmen will, ist weiterhin davon überzeugt, dass Annabelle eines Tages als seine angetraute Frau mit ihm leben wird.

Für diese Zukunft mit Annabelle, baut er sich eine zweite Existenz auf. Unter dem Namen „Neumeister“ mietet er ein Haus an und verbringt dort die Wochenenden. Dort träumt er schon jetzt von der gemeinsamen Zeit und fantasiert sich Annabelle herbei, wie sie es sich gemeinsam in ihrem trauten Heim gemütlich machen. Freunden, Kollegen und Nachbarn erzählt er, dass er die Wochenenden mit Besuchen bei seiner schwerkranken Mutter in einem Sanatorium verbringt.

Es ist die perfekte Welt für David, nur scheint Annabelle weniger angetan zu sein, da sie ja bereits verheiratet ist. Auf die Beteuerungen von Kelsey geht sie nur leidlich ein. Ihr Ehemann ist es, der Kelsey zur Rede stellen will und dabei kurz davor ist sein Doppelleben aufzudecken…

Patricia Highsmith gelingt ein spannender und unterhaltsamer Kriminalroman. Es hat richtig Spaß gemacht das Buch zu lesen, auch wenn es hier und da ein paar Längen gab. Ein sehr angenehmer Schreibstil, der einen mitreisst.

Subtil, fesselnd und amüsant.

Vielen Dank an die Diogenes Backlistlesen Gruppe – es war wieder eine Freude!

No.21

– Kim Jiyoung, geboren 1982 –

Cho Nam-Joo

Dieser Roman spricht Frauen weltweit aus der Seele.

Die Geschichte dreht sich um Kim Jiyoung’s Leben, welche als Hausfrau und Mutter ein typisches und durchschnittliches Dasein in einer patriarchalischen Gesellschaft fristet.

Irgendwie hat mich dieses Buch gleichermaßen angesprochen und aufgewühlt — denn es sollte sich niemand der Illusion hingeben, dass die beschriebenen Ungerechtigkeiten darin lediglich gegen Frauen in Korea stattfinden.

Überall auf der Welt wird Care-Arbeit, Hausarbeit und Kindererziehung kleingeredet. Gut ausgebildete Frauen, werden nur noch auf die Mutterrolle degradiert und sollen sich gefälligst glücklich schätzen.

Beruflich sollen immer sie ihre Ambitionen zurückstellen, Arbeitsstellen aufgeben oder sich für unbefriedigende Handlangerposten entscheiden, während die Männer als „Versorger“ kaum bis niemals zurückstecken und ihre Karriereträume verfolgen.

Die Probleme beginnen aber nicht erst durch Heirat und Mutterschaft. Schon davor werden Mädchen und Frauen gesellschaftlich anders behandelt und andere Erwartungen an sie gestellt. Wenn sie belästigt werden, sollen sie ihr Verhalten prüfen. Nicht etwa die Täter sind zu verachten, sondern das Opfer trägt die Verantwortung. Mädchen und Frauen sollen bescheiden und rücksichtsvoll sein; Männern den Vortritt lassen. Ausbildung und berufliche Wünsche sollen mit Blick auf spätere Faktoren wie Ehe und Kinder ausgerichtet werden.

Es mag zwicken und unbequem sein, aber dieses Buch spricht aus, was viele Männer nicht hören möchten.

Doch das Leben von Frauen, insbesondere in Korea, sieht genau so aus. Die Schutzhülle, die Frauen um sich herum aufbauen müssen, weil sie bereits sehr früh Erfahrungen mit übergriffigen Mitschülern oder Kollegen machen, die schulischen Leistungen die als schlechter oder anspruchsloser dargestellt werden, die Benachteiligung bei adäquaten Lösungen zum beruflichen Wiedereinstieg.

Und während ich dieses Buch gelesen habe, konnte ich bereits in meinen Gedanken den empörten Aufschrei so mancher Männer hören, die sich durch den Inhalt diskriminiert fühlen und behaupten werden, mit diesem Roman will nur Männerhass geschürt und gegen Männer gehetzt werden.

Dem kann ich nur eines entgegensetzten: Please…

Wenn uns dieser Roman etwas vor Augen führen sollte, dann dass wir unbedingt etwas ändern müssen. Sowohl am gesellschaftlichen Druck, als auch am unfairen System.

Und es kostet soviel Kraft und Energie…

Provokant, ehrlich, allgegenwärtig.

Absolute Leseempfehlung!

– Die Dinge, die ich denke, während ich höflich lächle… –

Sharon Dodua Otoo

Eine schnelle Novelle über das Leben einer Schwarzen Frau, die einen weißen Deutschen geheiratet hat.

Sie leben in Berlin, bekommen die Zwillinge Beth und Ash und irgendwann eröffnet Till ihr, er verlässt sie für eine andere Frau.

Man folgt 10 Kapiteln einer Protagonistin, die es nicht gerade leicht hat. Zu ihren Eheproblemen kommt noch der alltägliche Rassismus hinzu.

„Berlin ist ein Ort, wo alles geht und du anziehen kannst, was auch immer du willst, aber wenn du eine Schwarze Frau in der U-Bahn bist, sei darauf vorbereitet, sehr sehr langsam von oben bis unten gemustert zu werden. Ich kann dir nicht sagen, wie oft ich vor Schreck an mir herabgeschaut habe in solchen Momenten, um zu prüfen, ob meine Jeans offen waren, oder ob mein Kleid in meiner Unterhose eingeklemmt war. Weiße Menschen sehen mich manchmal so an, als wäre ich ihre eigene private Völkerschau. Zurückstarren hilft nicht. Es zählt als Teil der Unterhaltung. Wo sonst kann ein Tourist dich dazu bringe, dich zu fühlen, als wärst du — die Einwohnerin — im Grunde genommen diejenige, die nicht hierher gehört?“

Geistreich, witzig und lässig.

– Die New-York-Trilogie –

Paul Auster

Paul Auster – New York Trilogie

Ein sowohl faszinierendes als auch verwirrendes Buch.

Es besteht aus drei Geschichten:

  • Stadt aus Glas
  • Schlagschatten
  • Hinter verschlossenen Türen

In der ersten Story wird der Schriftsteller Daniel Quinn mit einem Privatdetektiv verwechselt. Quinn schlüpft in diese Rolle und geht seinem Auftrag nach, nämlich Peter Stillmann sr. zu beschatten.

Die zweite Geschichte handelt von Privatdetektiv Blue, der von White den Auftrag erhält, Black zu observieren. Ein verwirrendes Dreiergespann sag ich da nur.

Die letzte Geschichte handelt von Fanshawe, einem Autor, dessen Werke nie veröffentlicht wurden. Er ist spurlos verschwunden und seine Frau Sophie, die mit dem gemeinsamen Sohn zurückblieb, beauftragt einen namenlosen Ich-Erzähler seinen Nachlass zu verwalten. Er findet einen Verleger für die Manuskripte Fanshawes und schließlich wird einiges veröffentlicht. Plötzlich erhält der Erzähler einen Brief von Fanshawe mit einer Warnung darin….

Ich bin so froh, dass wir einen Buddy Read mit anschließender Zoom-Runde für dieses Buch gemacht haben. Ein sehr anspruchsvoller Roman, der viele Fragen aufwirft und nicht alle beantwortet.

Es war wirklich interessant wie die anderen Teilnehmer Sätze, Begebenheiten und Ideen des Autors interpretiert haben.

Ich selbst glaube, dass Paul Auster ein Verwirrspiel um Identität und Sinnfragen des Lebens niedergeschrieben hat. Viele Fährten die nur auf eines abzielen — den Leser in die Irre zu führen.

Bizarr, postmodern, anspruchsvoll.

Vielen Dank an die anderen Teilnehmer in der Runde für das tolle Zoom-Meeting und den regen Austausch.

Es war so schön die Ideen und Gedanken der anderen zu hören. Zum Schluss auch die euphorischen Buchtipps! Es war herrlich! Dankeschön.

– Black History Month –

Februar 2021

Für den #blackhistorymonth hier ein paar Vorschläge für Euch:

Ta-Nehisi Coates – Der Wassertänzer

Valerie Wilson Wesley – Die Tamara Hayle Reihe

Imbolo Mbue – Das geträumte Land

Richard Wright – Native Son

Fatou Diome – Der Bauch des Ozeans/ Ketala

Nana Kwame Adjei-Brenyah – Friday Black Storys

Sharon Dodua Otoo – Die Dinge, die ich denke, während ich höflich lächle…

Chimamanda Ngozi Adichie – Americanah

Yaa Gyasi – Heimkehren

James Baldwin – Alles 😉

Brit Bennett – Die verschwindenden Hälfte

Toni Morrison – Alles 😉

Harriet Beecher Stowe – Onkel Toms Hütte

Oyinkan Braithwaite – Das Baby ist meins

Chigozie Obioma – Der dunkle Fluss

Tupoka Ogette – Exit Racism

Alice Hasters – Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten

Florence Brokowski-Shekete – Mist, die versteht mich ja: Aus dem Leben einer Schwarzen Deutschen

Seit letztem Jahr beschäftige ich mich intensiver mit Rassismus und Rassismus-Kritik. Ich habe schon früher Bücher Schwarzer Autor*innen gelesen, aber sie wirken nochmal ganz anders seitdem ich Happyland verlassen habe.

Ja, manchmal ist es unbequem, nichts desto trotz lohnt es sich, sich damit auseinanderzusetzen.

Wer sich Inspiration holen möchte, sollte auf Social Media einfach hinsehen. PoC, BIPoC…sie sind alle da und alle drücken sich auf ihre Art und Weise aus.

Literatur, Musik, Kunst usw…aber wir müssen schon selbst etwas dafür tun. Es ist nicht die Aufgabe der Black Community uns aufzuklären. Es ist unsere Aufgabe.