– Betrachtungen einer Barbarin –

Asal Dardan

„Ich ringe viel mit mir selbst als der Anderen. Das mag vielleicht daran liegen, dass mir die Erfahrung, mir selbst immer wieder fremd zu sein, aufgezwungen wird durch Menschen, die mich als etwas sehen, das ich nicht in mir erkenne oder schlichtweg nicht bin. Eine aufgezwungene Entfremdung und Fremdmachung, die es mir aber erlaubt, ein größeres Bewusstsein zu erlangen für die Absurdität, Menschen mit einem Blick greifen und begreifen zu wollen. Es geht nicht darum, gut zu sein, sondern besser zu handeln, was eine Menge Selbstdisziplin und Selbstreflexion erfordert.“

Was für ein großartiges Buch!

Asal Dardan schreibt so klar und wundervoll über das „Wir“ und die „Anderen“, über die Suche nach dem „Ich“ im Exil.

Hierfür nimmt sie ihre eigene Lebensgeschichte und gewährt uns Einblicke in ihre Gedanken und Erfahrungen.

Die Sätze in denen sich die Autorin mit Identität, Herkunft und dem Leben in einer Gesellschaft auseinandersetzt, die immer wieder ausgrenzt und Bürger zu Fremden macht, strotzen von einer unsagbar scharfen Beobachtungsgabe.

Asal Dardan will uns mit ihren Essays auf etwas aufmerksam machen und wir täten alle gut daran zuzuhören!

Wortgewaltig, klug und brillant.

Absolute Leseempfehlung!

– 1984 –

George Orwell

Mit den vielen Neuübersetzungen von George Orwells Werken, kommt man kaum an dem -Klassiker schlechthin- vorbei.

Der dystopische Roman 1984 befasst sich mit dem Thema Überwachungsstaat.

Der Inhalt ist fast jedem geläufig: 

Die Handlung spielt in Ozeanien, welches unter der totalen Kontrolle der „Partei“ und der Überwachung durch „Big Brother“ steht.

Gedanken, Sprache und auch Geschichte werden durch das System streng kontrolliert und bei Fehlverhalten sanktioniert.

Der Protagonist Winston Smith, der für die Partei im Ministerium der Wahrheit arbeitet, die Geschichte umschreibt damit sie systemkonform dargestellt wird, ist insgeheim frustriert und führt ein Tagebuch mit verbotenen Gedanken oder auch Informationen über hochrangige Parteimitglieder.

Ebenso führt er eine verbotene Beziehung zu Julia, welche unter diesem Regime höchst gefährlich werden kann.

Dieses Buch legt den Finger in die Wunde unserer Zeit. Leider oft missbräuchlich zu kruden Argumentationszwecken in der Corona-Pandemie verwendet, ohne das Buch je selbst gelesen zu haben, sollte man das Augenmerk auf Folgendes legen: 4 Jahre Mr. Orange in den USA mit Fake News, Social Scoring/Credit System in China und dem Rechtsruck vieler Nationen.

An diesen Beispielen kann man sehen was so ein totalitäres Denken hervorbringt und sollte uns alle zu mehr Achtsamkeit und Vorsicht anhalten.

Zurecht ein Klassiker, der immer wieder gelesen werden sollte.

Danke an @bloggerportal und @manesse.verlag für dieses schöne Rezensionsexemplar.

– Der silberne Elefant –

Jemma Wayne

Ein Debütroman, der mich mit Skepsis zurücklässt.

Jemma Wayne schreibt in „Der silberne Elefant“ über drei Frauen, die alle ihr Päckchen zu tragen haben und mit ihrer Vergangenheit hadern.

Der Autorin gelingt es Emotionen geschickt zu transportieren, sodass der Roman eine Sogwirkung erzielt. Das ergibt einen schönen Lesefluss, der einen von Kapitel zu Kapitel bringt.

Es geht um Emily, einer Überlebenden des Genozids an den Tutsi in Ruanda, die aus ihrem Dorf vor den Hutu flüchten konnte.

Emily, die eigentlich Emilienne heißt, schult zur Pflegekraft um und übernimmt die Pflege der schwer krebskranken Lynn, die nur noch wenig Zeit hat.

Lynn, die ihr ganzes Leben der Familie gewidmet hat und sich ihre eigenen Lebensträume wegen der täglichen Verpflichtungen nicht erfüllen konnte, ist mittlerweile stark verbittert und lässt dies ihr komplettes Umfeld spüren. Insbesondere Vera muss sehr viel einstecken.

Parallel dazu erfahren wir die Geschichte von Vera. Eine junge Frau, die an den Geheimnissen ihrer Vergangenheit zu zerbrechen droht. Sie ist mit Luke verlobt, dem Sohn von Lynn, der sich stark den christlichen Werten verschrieben hat und sein Leben streng nach der Bibel ausrichtet. Vera fürchtet sich ihrem konservativen Verlobten anzuvertrauen.

Obwohl die Autorin ein gutes Gespür zu haben scheint, den Leser an ihre Geschichte zu fesseln, gibt es einiges das ich schwer ignorieren kann.

Viele Handlungen der Protagonisten bleiben mir ein Rätsel. Zum Beispiel Lynn, die ihren Mann in jungen Jahren verloren hat, hätte ihr Leben nochmal neu gestalten können. Genauso Vera, deren Entscheidungen oft nicht nachvollziehbar sind.

Es gibt so viele Momente in diesem Buch, die einen dermaßen unreflektierten Umgang mit Trauma-Opfern und psychotherapeutischer Arbeit aufzeigen.

Von der klischeehaften Beschreibung des homosexuellen John (Lynns anderer Sohn) bis zu kitschigen Messen in der örtlichen Erweckungskirche.

Ebenso entstand für mich der Eindruck, die historischen Fakten des Genozids in Ruanda wurden hier nur als Mittel zum Zweck verwendet, um irgendeine Verbindung zwischen den Figuren herzustellen.

Insbesondere die übergriffige Lynn zeigt mehr als einmal offenes „White savior“ Verhalten, welches in einem schon unverschämten Vergleich mit Emilys Mutter gipfelt, die sich für ihre Tochter geopfert hat!

Dies bewirkt letztendlich das, was sich die rassismuskritischen Leser*innen bereits mehrfach während des Lesens gedacht haben: Dieses Buch hat eine Weiße geschrieben.

Das soll nicht bedeuten, Weiße dürften keine Bücher über Schwarze schreiben. Aber dann doch bitte sensibler und mit Hinblick auf die nach wie vor aktuelle Debatte auch durchdachter.

Es mag dazu anstoßen, dass Leser*innen auf die Geschichte Ruandas aufmerksam werden, doch bleibt zu hoffen, dass diese sich im weiteren Verlauf dann aufgeklärtere Quellen zur Informationsbeschaffung suchen.

Hier kann ich keine Empfehlung aussprechen.

– Mist, die versteht mich ja! Aus dem Leben einer Schwarzen Deutschen –

Florence Brokowski-Shekete

Wenn man sich mit dem Thema Rassismus allgemein und insbesondere in Deutschland beschäftigt, kommt man an „Mist, die versteht mich ja!  Aus dem Leben einer Schwarzen Deutschen“ von Florence Brokowski-Shekete nicht vorbei.

Die Autorin hat mich sehr schnell berührt und in ihre Lebensgeschichte hineingezogen. 

Als Kind nigerianischer Eltern, wird die kleine Flori bei einer alleinstehenden weißen Pflegemutter in Buxtehude gelassen, da beide noch studieren und sich nicht selbst kümmern können.

Später nehmen die Eltern sie wieder nach Lagos/Nigeria mit und dort muss sie in einem Land leben, dessen Sprache, Bräuche und sogar leibliche Familie sie nicht kennt.

Ihre deutsche Pflegemutter, die sie von Anfang an liebevoll Mama nennt, versucht alles um Flori den Abschied leichter zu machen, auch wenn es der Frau selbst innerlich das Herz zerreisst. (An dieser Stelle im Buch, bin ich in Tränen ausgebrochen – Mütter eben)

Flori muss über 3 Jahre in Nigeria ausharren bis sie endlich wieder Mutter und Vater verlassen kann, um zu Mama zurückzukehren. Eine Lehrerin an der örtlichen Schule in Nigeria, hat durch ihr couragiertes Eingreifen die Eltern überzeugt, sodass sie wieder nach Deutschland darf.

Auf ihrem weiteren Lebensweg entwickelt sich Flori mit zunehmendem Alter zu Florence; einer wohlerzogenen und interessierten Frau, die die Bekanntschaft mit der deutschen Bürokratie und den Hürden für Afrodeutsche in der deutschen Gesellschaft macht.

Florence hat kein Buch mit dem Gedanken an Abrechnung geschrieben, sondern vielmehr eine Schilderung realer Tatsachen, die uns Leser*innen aufzeigen, dass Zusammenleben keine Einbahnstraße ist und wir als weiße Gesellschaft endlich den strukturellen Rassismus in unseren Reihen erkennen und bekämpfen müssen. All das ohne immer wieder die sinnlosen Debatten zu führen, ob es überhaupt Rassismus in Deutschland gibt.

Das Buch handelt von der intensiven Auseinandersetzung mit der Frage wie Identität entsteht und was wir als Gesellschaft erkennen können, wenn wir uns darauf einlassen.

Ich kann dieses Buch uneingeschränkt empfehlen. Für die Leser*innen, die Happyland bereits verlassen haben und für die, die immer noch nicht glauben können, dass Alltagsrassismus existiert.

Zugänglich, berührend und unerlässlich. 

– Pauls Garten –

Timon Meyer/Julian Meyer

Nachdem die Twins bereits von #heutenicht so begeistert waren und noch immer sind, haben wir uns natürlich das neue Kinderbuch vom Team Timon Meyer/Julian Meyer geholt.

In Reimform wird die Geschichte von Maulwurf Paul und Ferkel Erna erzählt.

Diese bestellen gemeinsam Pauls Garten und arbeiten zusammen. Als Paul sich nach der harten Arbeit über eine reiche Ernte freut, muss er feststellen, dass Erna aus Nächstenliebe alles Obst und Gemüse verschenkt hat.

Das macht natürlich erstmal schlechte Laune…

ABER dann kommen die anderen Tiere mit selbstbereiteten Speisen und begehen alle gemeinsam ein Festessen.

Die Moral: Zusammenarbeiten und Teilen schafft ein fröhliches Miteinander.

  • Empfohlen ab 4 Jahren
  • Reimform
  • Super illustriert und man entdeckt immer wieder neue Details

Jetzt schon ein großer Hit bei meinen Früchtchen.

– Der gefrorene Himmel –

Richard Wagamese

„Sie kommen auf verschiedenen Wegen, diese Zhaunagush“, sagte sie. „Ihre Reden und ihre Geschichten können dich genauso schnell wegschaffen wie ihre Boote.“ Als Kind hatte ich also Angst vor den Weißen. Wie sich zeigte, mit gutem Grund.

Die Handlung des preisgekrönten Romans „Der gefrorene Himmel“ von Richard Wagamese dreht sich um Saul Indian Horse aus dem Stamm der Ojibwe. (Anishinabek)

Er lebt mit seiner Familie im nördlichen Ontario. Als seine alkoholabhängigen Eltern die Familie verließen, brachte seine Großmutter den kleinen Jungen in die Stadt.

Saul wird in St. Jerome’s untergebracht, einem staatlichen Heim, in dem noch viele andere Kinder indigener Abstammung leben.

Um dem rauen Alltag in der Einrichtung, sowie den Grausamkeiten der Nonnen und Pater wenigstens psychisch zu entkommen, verschließt er sich in sein Innerstes und findet nur im Eishockeyspiel ein wenig Freude.

„Wenn dir die Unschuld genommen wird, wenn dein Volk verleumdet wird, wenn die Familie, der du entstammst, beleidigt und bloßgestellt wird, wenn deine Stammesbräuche und -rituale als rückständig, primitiv, barbarisch gebrandmarkt werden, dann betrachtest du dich selbst nicht mehr als menschlich. Das ist die Hölle auf Erden, dieses Gefühl der Unwürdigkeit. Und das haben sie uns angetan.“

Sauls ungewöhnlich ausgeprägtes Talent für diesen Sport bleibt nicht lange verborgen und schon bald kommt er bei der Familie Kelly unter gesetzliche Vormundschaft. Er darf in der örtlichen Eishockeymannschaft „The Moose“ mitspielen, deren Mitglieder ebenfalls den First Nations angehören.

Eishockey öffnet Saul Indian Horse so manche Tür, doch konfrontiert es ihn auch mit dem vollen Rassismus der Weißen. Während Saul für das Spiel lebt, wird er immer wieder auf seine Herkunft reduziert, beleidigt, beschimpft und verprügelt.

Als er den Sprung in die NHL schafft, wird es umso härter. Die Presse vergleicht seine Spielweise immer wieder mit Kriegspfad, Skalps jagen oder den leuchtenden Augen eines Kriegers in voller Kriegsbemalung.

„Ich wollte immer höher steigen, einer der glänzenden Sterne werden. Aber sie ließen mich nicht bloß Hockeyspieler sein. Ich musste immer Indianer bleiben.“

Wenn man sich ein wenig mehr mit Geschichte beschäftigt, kommt man nicht umhin sich zu fragen, ob es irgendetwas gibt, wo die Weißen in all ihrer Zivilisiertheit nicht eingedrungen sind und es sich widerrechtlich angeeignet haben.

Richard Wagamese hat einen einfühlsamen und unvergesslichen Roman über das Leben eines kleinen Jungen geschrieben, der seinen Platz in einer Welt sucht, in der es wegen seines kulturellen Erbes keinen Platz zu geben scheint.

Wenn man sich mit dem Autor ein wenig näher befasst, erkennt man hier und da ein paar autobiografische Züge, die er in die Geschichte mit einfließen ließ. Hierzu bietet das Nachwort von Katja Sarkowsky mehr Informationen und rundet das Leseerlebnis nochmals ab.

Wunderbar übersetzt von Ingo Herzke.

Pittoreske Sprache, zugänglich und absolut lesenswert.

– Der Klang der Wälder –

Natsu Miyashita

„In gewisser Weise konnte ich jedoch nachvollziehen, dass Astronomie und Musik als Matrix der Welt galten. Man extrahiert aus dem unendlichen Sternenmeer einige wenige Exemplare, um sie in eine umrissene Form zu bringen. Beim Stimmen ist es ähnlich. Man erwählt schöne Dinge aus dem Gesamtgefüge der Welt, wo sie sich im aufgelösten Zustand befinden. Dabei geht man ganz behutsam vor, um die Schönheit in der Sichtbarmachung zu bewahren.“

Als der 17 jährige Tomura dem Klavierstimmer Itadori bei der Arbeit am Schulklavier zusieht, steht sein Entschluss fest: Er will selbst Stimmer werden und geht in die Lehre.

Tomuras Faszination für das Handwerk des Klavierstimmens und dem Anspruch an sich selbst den perfekten Klang zu erzeugen, begleiten in über lange Zeit, bis er seinen Kollegen und Mentor Yanagi zu einem Kundentermin bei den Zwillingsschwestern Yuni und Kazune begleitet.

Tomura, der ständig mit Selbstzweifeln seiner Arbeit wegen kämpft, erkennt dass es beim Stimmen nicht nur um die Technik geht. Er gerät immer wieder ins Wanken, ob er über ausreichend Talent für den Beruf verfügt, wo er doch sonst keine musikalische Bildung besitzt und nicht einmal selbst Klavier spielen kann.

Worauf kommt es eigentlich an? Haben seine unermüdlichen Bestrebungen überhaupt einen Sinn?

Wer in diesem Buch nach aufregender, schneller Story sucht, wird hier nicht fündig.

„Der Klang der Wälder“ besticht vielmehr durch seine wundervoll zarte und sanfte Erzählweise. Natsu Miyashita schreibt einen Roman über das stetige Bemühen und Streben nach Perfektion, über die unergründliche Wirkung von Musik, die imstande ist die unterschiedlichsten Gefühle aus uns herauszuziehen.

Die bilderreiche Sprache ist ein wahrer Genuss und alle Leser*innen der ruhigen und behutsamen Töne werden voll auf ihre Kosten kommen.

Es wundert mich überhaupt nicht, dass das Buch mit dem japanischen Buchhändlerpreis ausgezeichnet wurde: Es spiegelt die Philosophie ihrer gesamten Kultur wieder.

Leise, sinnsuchend und liebevoll.