– Zwischen Du und Ich –

Mirna Funk

Auf den neuen Roman „Zwischen Du und Ich“ von Mirna Funk war ich nach der Live-Lesung auf Instagram sehr gespannt.

Nike, in ihren 30ern, Jüdin, wuchs in Ostberlin auf und trägt eine Last schwerer Erinnerungen mit sich herum. Nicht nur ihre eigenen Probleme mit einem Ex-Freund, sondern auch das Holocaust-Schicksal ihrer Familie. Eines Tages erhält sie die Möglichkeit für ein Jahr in Tel Aviv für die DAAD zu arbeiten. Diese Zeit möchte sie gleichwohl für ihre Alija (Einbürgerung) nutzen. (Siehe Wikipedia-Artikel: Rückkehrgesetz)

Noam, ein Israeli mittleren Alters und Journalist, lebt in Tel Aviv und hat soeben seinen Job bei der „Haaretz“ an den Nagel gehängt. Er führt ein seltsames, emotional abgestumpftes Leben und teilt sich die Wohnung mit seinem psychisch und physisch gewalttätigen Onkel Asher. Dieser hat ihn aufgezogen, da sein Vater schon lange verstorben ist und seine Mutter daraufhin die Familie verlassen hat. Aber das ist nicht das einzige Trauma. Als Kind wurde er zudem vom Sportlehrer sexuell missbraucht.

Nike und Noam lernen sich kennen, werden ein Paar und versuchen auf einen gemeinsamen Weg zu kommen. Beide sind auf der Suche nach Geborgenheit und haben eine Art Sehnsucht nach innerem Frieden.

Mirna Funk hat einen Roman geschrieben, der sich mit dem heutigen jüdischen Leben auseinander setzt. Wie können die Nachfahren der Überlebenden des Holocaust leben und Erlösung oder Glück finden. Wie können sie weitermachen trotz der unaussprechlichen Verbrechen die an den Juden verübt wurden.

Man wird sehr traurig beim Lesen, denn man begreift, die generationenübergreifende Trauer kann nicht vergessen werden.

Normalerweise lese ich recht schnell, was mir bei diesem Buch nicht möglich war. Ein paar Tage lang habe ich immer wieder darin gelesen und es auch immer wieder weggelegt. Diese bedrückende Stimmung und die Hilflosigkeit der Figuren, haben mich sehr nachdenklich gemacht. Besonders Noam war mir innerlich ein Dorn im Auge. Sein Umgang mit Frauen und eine Art Stalking um Nike kennenzulernen, hat bei mir sofort der Alarm für toxische Männlichkeit ausgeschlagen. 

An manchen Stellen fand ich die Dialoge und die Figuren nicht ganz überzeugend. Da war es mir etwas zu konstruiert und Entscheidungen für mich nicht nachvollziehbar.

Alles in allem aber ein lesenswerter Roman, der einem allerdings auch Unbehagen bereitet. Es ist definitiv kein Roman zum Wohlfühlen, doch mit Sicherheit wird er gebraucht.

Traurig, bedrückend und persönlich.

– Im Wasser sind wir schwerelos –

Tomasz Jedrowski

„Die ganze Zeit hatte ich dich fragen wollen, ob du sie liebst. Es war das Einzige, was ich bereute, nie gefragt zu haben. Inzwischen ist mir klar, dass es nie wichtig war. Denn du hattest recht mit deiner Bemerkung, dass Menschen uns nicht immer geben können, was wir von ihnen möchten; dass man nicht immer verlangen kann, uns so zu lieben, wie wir es wollen. Man kann das niemandem zum Vorwurf machen. Und die Chancen für uns standen von Anfang an nicht gut: Wir hatten kein Handbuch, niemanden, der uns den Weg zeigte. Nicht ein einziges Beispiel eines glücklichen Paars, das aus Jungs bestand. Wie sollten wir da wissen, wie es geht? Glaubten wir überhaupt daran, dass wir es verdient hatten, glücklich zu sein?“

Bereits die ersten Sätze in „Im Wasser sind wir schwerelos“ von Tomasz Jedrowksi haben mich tief berührt und mein Herz fest umklammert.

Ludwik ist von Polen in die Vereinigten Staaten emigriert um dem kommunistischen Regime zu entkommen und erinnert sich in Form eines Briefes an seinen ehemaligen Geliebten Janusz, der in Polen geblieben ist.

Einige Jahre zuvor nahm der damals studierende Ludwik an einem „freiwilligen“ Ernteeinsatz der Regierung teil. Dort lernt er Janusz kennen, der die Partei für eine Lösung aus der Armut hält. Ludwik hat ein geschmuggeltes Exemplar von James Baldwins „Giovannis Zimmer“ dabei, welches er in einem anderen Buch versteckt. Janusz möchte es gerne lesen und so leiht er es ihm. Die beiden knüpfen zarte Bande und als die Erntearbeit beendet ist, beschließen die beiden noch ein paar Wochen dranzuhängen und an einem abgelegenen Ort zu kampieren.

Fernab aller gesellschaftlichen und kommunistischen Einschränkungen, verbringen sie dort gemeinsame Zeit aus der ihre intensive Liebesbeziehung entsteht.

Als sie nach Warschau zurückkommen, können sie sich nur noch unter strengster Geheimhaltung treffen. Schon bald wird ihre Beziehung durch die unterschiedlichen Einstellungen zur Regierung und der politischen Strukturen auf eine harte Probe gestellt.

Während Janusz sich anpassen, im Regime aufsteigen und es so zu etwas bringen möchte, würde Ludwik am liebsten fortgehen und im Ausland ein neues Leben beginnen.

Ich bin ganz mitgerissen von diesem Debüt. Es ist unglaublich poetisch und gefühlvoll. Auch das Einflechten von Baldwins „Giovannis Zimmer“ ist wirklich meisterhaft gemacht und die Verehrung für den Autor deutlich spürbar.

Ebenso die Darstellung des sozialistischen-kommunistischen Regimes zu damaliger Zeit hat mich einfach umgehauen. Es fielen Sätze, bei denen mich ein regelrechter Schauer durchfuhr. Ich las Dinge, die ich schon so oft aus dem Mund meiner Mutter gehört hatte.

Das Schlange stehen um Toilettenpapier und Essen, stundenlang, ohne zu wissen ob man überhaupt etwas bekommt und wie man oft mit leeren Händen nach Hause kam.

Oder daran, wie meine Mutter das erste Mal  in einem deutschen Lebensmittelmarkt war und in Tränen ausgebrochen ist, weil die Regale vor lauter Ware nur so strotzten.

Wir kamen am 22.08.1988 zwischen 7:00 – 8:00 Uhr am Hauptbahnhof in Regensburg, Deutschland an.

Ich habe am Ende geweint. Eine ergreifende Geschichte über die Liebe. 

„Ich habe dieses Buch mehr geliebt, als Du wusstest.“ @tomasz.jedrowski 

– Lesemonat Februar 2021 –

So das war er also, der Lesemonat Februar:

  • Toni Morrison – Gott, hilf dem Kind
  • Paul Auster – Die New-York-Trilogie
  • Sharon Dodua Otoo – Die Dinge, die ich denke, während ich höflich lächle…
  • Cho Nam-Joo – Kim Jiyoung, geboren 1982
  • Patricia Highsmith – Der süße Wahn
  • Han Kang – Die Vegetarierin
  • Jakob Nolte – Kurzes Buch über Tobias
  • Tove Ditlevsen – Jugend
  • Tove Ditlevsen – Abhängigkeit
  • Megan Hunter – Die Harpyie
  • Benedict Wells – Hard Land

Für mich war der Februar ein voller Erfolg. Gefühlt kommen dieses Frühjahr so viele gute Titel raus, wie schon lange nicht mehr.

Meine Begeisterung für asiatische Literatur wächst und wächst…da muss ich ganz klar sagen, dass ich @diek_aiserin und @literarischernerd dafür verantwortlich mache. Danke! 

Ebenso stand der Februar für den Black History Month. Eine große Auswahl an Inspiration findet ihr in meinem Feed oder unter dem Hashtag. Ich habe mir schon letztes Jahr mein eigenes Ziel gesetzt: jeden Monat möchte ich mindestens einen Titel Schwarzer Autor*innen lesen.

Meine Highlights:

Wie war Euer Lesemonat? Irgendwelche Bücher die ich unbedingt noch lesen sollte? Schreibt sie mir bitte in die Kommentare. 

– Hard Land –

Benedict Wells

Den langerwarteten Roman von Benedict Wells habe ich innerhalb eines Tages weginhaliert und jetzt darf ich endlich über ihn sprechen!

Inhaltlich geht es um den fünfzehnjährigen Sam Turner, der mit seiner Familie in einem Kaff namens Grady in Missouri lebt. Es ist 1985, im Ort gibt es wenig Abenteuer, dafür das typische Diner namens „Larrys Corner“, eine Fabrik, deren Schließung viele der Bewohner arbeitslos zurückließ und Filme wie „Zurück in die Zukunft“ im kleinen Kino.

In Letzterem beginnt der schüchterne Sam einen Ferienjob und macht die Bekanntschaft einiger Mitschüler. Kirstie, deren Vater besagtes Kino gehört, sowie Cameron und Brandon.

Zuvor der unscheinbare Außenseiter, beginnt er jetzt aufzublühen, schließt Freundschaften, geht auf Partys, stellt sich Mutproben und verliebt sich. Sam erkennt, dass jeder auf seine Art sein Päckchen zu tragen hat und zwischen Hausaufgaben sowie Dorfsterben einfach das Beste daraus macht.

Die Zeit zwischen Kind sein und Erwachsenenalter muss jeder überstehen und so zwingt ihn ein schwerer Schicksalsschlag, den Jungen in sich abzuschütteln und erwachsen zu werden.

Benedict Wells findet einen wunderbaren Mittelweg um die Geschichte zu erzählen. Obwohl es oft traurig ist, schafft er es ein ums andere Mal ein wenig Leichtigkeit hineinzubringen und weckte eine richtige Wehmut und Sehnsucht in mir, nach diesen besonderen Tagen meiner Teenagerzeit.

Diese Unbeschwertheit an sonnigen Nachmittagen, in denen Augenblicke gefühlt langsamer verstrichen, das sorglose Leben, welches man nur in diesem Alter lebt, bevor man plötzlich erwachsen ist und weiß, dass das Karussell niemals anhält und alles vergänglich ist.

Berührend, witzig und nostalgisch.

Eine Geschichte die es schon gegeben hat in Büchern und Filmen, die aber einfach gut tut. Der Plot ist nicht neu, aber mich hat er emotional drangekriegt.

– Die Harpyie –

Megan Hunter

Als ich bei C.H. Beck im Frühjahrsprogamm gestöbert habe, war es Cover-Liebe auf den ersten Blick.

Und dann habe ich es gelesen….

Ich kann jetzt schon mit Gewissheit sagen, dass „Die Harpyie“ von Megan Hunter eines meiner Jahreshighlights in 2021 sein wird.

Lucy ist mit Jake glücklich verheiratet, hat zwei Söhne und arbeitet in Teilzeit von zu Hause aus.

Eines Tages erhält sie eine Voicemail.

„Hier ist David Holmes. Ich bin Vanessa Holmes’ Ehemann. Ich meine, dass Sie wissen sollten – Ihr Ehemann – Jake, Jake Stevenson – schläft mit meiner Frau. Er ist – ich habe es heute erfahren. Ich meine, dass Sie das wissen sollten.“

Nicht ist mehr wie es einmal war. Das scheinbar perfekte Familienglück stellt sich als Illusion heraus.

Als sie Jake mit dem Betrug konfrontiert, treffen sie eine Vereinbarung. Lucy darf sich rächen und Jake drei Mal verletzen.

Harpyien, diese Fabelwesen aus Frauen und Vögeln, haben Lucy von Kindesbeinen an fasziniert. Ihre Mutter erzählte ihr, diese würden Männer für ihre Untaten strafen. Und so entspinnt sich ein Geflecht aus Wut, Rachegelüsten und düsteren Gedanken…

Megan Hunter ist hier ein so grandioses, intensives Buch über die Abgründe einer weiblichen Seele gelungen, wie ich es wohl noch schon lange nicht mehr gelesen habe. Die Übersetzung von Ebba D. Drohlshagen scheint mir wirklich über die Maßen gelungen.

Das Buch hat mich richtig in seinen Bann gezogen, die Story wirklich gefesselt.

Atmosphärisch, intensiv und abgründig.

Absolute Leseempfehlung!

– Abhängigkeit –

Tove Ditlevsen

„Jetzt musst du vom Schreiben leben, es hat keinen Sinn, sich von einem Mann durchfüttern zu lassen, auch wenn dir das deine Eltern eingeredet haben.“

Direkt nach „Jugend“ habe ich mit „Abhängigkeit“ von Tove Ditlevsen weitergemacht.

Ich muss gestehen, dass mich der dritte Teil der Kopenhagen-Trilogie wirklich aufgeregt hat.

Tove erzählt von ihrer Ehe mit dem deutlich älteren Viggo F. Sie fühlt sich einsam und vernachlässigt, sodass sie schon bald untreu wird. Nach der Trennung ist sie finanziell auf sich allein gestellt und macht den Absprung zur Schriftstellerin. Sie schreibt Romane und findet durch ihre Freundin Nadja Anschluss zu einer Gruppe Leute ihres Alters.

So lernt sie Ebbe kennen. Sie heiraten kurze Zeit später und Tove bringt Tochter Helle zur Welt. Neben Kindererziehung und der Eskapaden ihres trinkfreudigen Mannes fühlt sich Tove in ihrer literarischen Kreativität gebremst. Als sie dann erneut schwanger wird, will sie das Kind keinesfalls behalten und lässt abtreiben.

Als sie nach einem One-Night-Stand eine weitere Schwangerschaft bemerkt, weiß sie nicht, ob es von Ebbe oder dem anderen ist. Durch eine weitere illegale Abtreibung lernt sie gleich ihren nächsten Ehemann Carl kennen; der Engelmacher höchstpersönlich.

Er spritzt ihr gegen die Schmerzen der Ausschabung Pethidin. Tove wird sogleich abhängig, will für immer bei Carl bleiben, solange der ihr nur weiter zu dem „unbeschreiblichen, beglückenden Genuss“ verhilft. Sie trennt sich von Ebbe.

Diese Ehe ist geprägt von Abhängigkeit jeglicher Art. Carl möchte Tove am liebsten nur für sich und isoliert sie zunehmend. Durch ihre Drogensucht wird ihr alles gleichgültig – für sie zählen nur die Pethidinspritzen und Methadon. Sie lügt, fälscht Rezepte und erfindet Erkrankungen um an mehr Schmerzmittel zu kommen. Dies geht sogar so weit, dass sie sich einer unnötigen Ohrenoperation unterzieht, wobei sie sogar auf einem Ohr taub wird.

Der letzte Band der Trilogie war, wie die beiden Vorgänger, für mich ein literarischer Genuss wegen der wunderschönen Sätze und Bilder, die diese wecken.

Aber die Beschreibungen der Drogensucht Toves, haben mich wirklich verärgert. Die Frau war extrem abhängig, in einer toxischen Ehe mit einem psychisch Kranken und ist immer weiter abgerutscht, nur um an den nächsten Kick zu kommen. Dieser Zustand wurde mir hier viel zu lyrisch erzählt. Es hat mich ehrlich gesagt etwas empört wie hier über eine furchtbare Suchtkrankheit gesprochen wird. Romantisierte Beschreibungen des berauschten Dahindämmerns…als wäre nichts dabei sich voll zu dröhnen, während man nebenher seine Kinder aufzieht.

Nichts desto trotz spreche ich eine Empfehlung für die Kopenhagen-Trilogie aus, weil ich diesen ruhigen Erzählton allgemein sehr schätze und Tove Ditlevsen ein Talent für treffende Formulierungen hat. Diese Übersetzung von Ursel Alleinstein ist wirklich ein Geschenk.

Lakonisch, bedrückend und lesenswert.

– Jugend –

Tove Ditlevsen

„Das Jungsein ist ein vorübergehender, zerbrechlicher und unbeständiger Zustand. Er muss überwunden werden, einen anderen Sinn hat er nicht.“

Tove beschreibt in „Jugend“ ihren Lebensabschnitt nach der Schule. Sie hatte eine Empfehlung für das Gymnasium, doch die Familie kann sich ihre Schullaufbahn nicht leisten. So bleibt ihr nichts übrig als sich eine Stelle zu suchen. Sie arbeitet als Hausmädchen und hat diverse Aushilfstätigkeiten in örtlichen Büros.

Sobald Tove einige Kronen verdient und zu Hause einen Teil abgegeben hat, zieht sie mit ihrer Familie in eine größere Wohnung. Das eigene Zimmer, welches ihr versprochen wurde, entpuppt sich als Wohnzimmer, welches bei Bedarf genutzt wird. Tove schreibt weiterhin Gedichte und lechzt förmlich danach dem Arbeitermilieu zu entfliehen. Ihre Mutter ist nur daran interessiert, sie schnellstmöglich zu verheiraten. Der Vater, wieder einmal arbeitslos, liegt hauptsächlich auf dem Diwan.

Eines Tages lernt sie Herr Krogh kennen, der sich für ihre intellektuelle Seite interessiert und ihr Zugang zu seinen Büchern gewährt. Allerdings währt dieses Glück nicht sehr lange und der alte Mann verstirbt kurze Zeit später.

Schon lange steht Toves Entschluss fest und mit 18 Jahren zieht sie zu Hause aus. Sie sehnt sich nach Ruhe, allein in einem Zimmer, in dem sie schreiben kann. In zwischenmenschlichen Dingen ist sie sehr unbeholfen und stolpert eher zufällig in das ein oder andere kleine Abenteuer beim Tanzen. In ihrer Freizeit schreibt sie weiter, während Hitler an die Macht kommt und damit beginnt Europa zu verwüsten.

„…und währenddessen denke ich mit Sorge und Unruhe an die Finsternis, die sich gerade auf die ganze Welt hinabsenkt.“

Dann lernt sie Viggo F. Møller, einen Herausgeber, kennen und Tove schöpft erneut Hoffnung, dass sie endlich Fuß fassen kann in der literarischen Welt. Getrieben von dem Wunsch veröffentlicht zu werden, schreibt sie an ihrem ersten Gedichtband.

Ich liebe diesen ruhigen Ton, den viele skandinavische Autoren innehaben. Ditlevsen erzeugt wunderschöne Bilder und sorgt für ein sanftes Lesevergnügen über eine jugendliche Dichterin, deren pittoreskes Leben nur in ihren Gedichten zu erkennen ist.