– Reise durch ein fremdes Land –

David Park

Ich stand mit @littlepaperworks am Stand des @dumontbuchverlag bei der Frankfurter Buchmesse, als mir Reise durch ein fremdes Land des nordirischen Autors David Park in die Hand gedrückt wurde.

Auf rund 200 Seiten geht es um den Fotografen Tom, der durch die weihnachtliche Winterlandschaft auf dem Weg nach Sunderland ist, um seinen Sohn Luke nach Hause zu holen. Dieser studiert auswärts und wegen der starken Schneefälle wurden die meisten Flüge gestrichen.

Während seine Ehefrau Lorna und Tochter Lilly alles für das Weihnachtsfest vorbereiten, stellt sich Tom nicht nur den verschneiten Straßen, sondern auch seinen Gefühlen, Gedanken und seiner Vergangenheit. Ist er Lorna ein guter Mann und den Kindern ein guter Vater? Hätte er Dinge verändern oder abwenden können, um seine Familie zu beschützen? Ist er der Mann, der er immer sein wollte?

Er erinnert sich an viele Stationen in seinem Leben und den Träumen, die er sich als Fotograf nicht erfüllt hat. An schwere Tage, an denen er gegen Depressionen angekämpft hat, die Ohnmacht wenn es um seinen ältesten Sohn Daniel geht und dem allgegenwärtigen Wunsch es besser zu machen.

Ein unglaublich intensiver, bewegender Roman über innere Dialoge, Schuld, Leid und Vergebung.

David Park hat es geschafft eine Szene zu schaffen, in der man förmlich diese kalte Stille der verschneiten, eisigen Landschaft spürt, sich mit dem Protagonisten auf die Reise begibt und wie laut die inneren Dialoge und Konflikte in einem werden können.

Anfangs war ich irritiert, hatte das Gefühl es wäre zäh und anstrengend zu lesen. Doch dann hat sich dieses Gefühl mit der Geschichte verknüpft und ich erkannte: Ja, ich begreife mit welcher inneren Zerrissenheit Tom kämpft und wie sehr ich es fühle.

Große Leseempfehlung!

Übersetzung: Michaela Grabinger

– Ein Sohn der Stadt –

Kent Haruf

Pat Arbuckle, Herausgeber des Holt Mercury, lässt uns in Rückblenden an seinen Erinnerungen über seine Beziehung zu Jack Burdette und dem Leben in der Kleinstadt Holt teilhaben.

Jack, der in seiner Jugend äußerst beliebt und ein Footballstar im Ort war, verschwand mit dem Geld (gut 150.000) der Farmer Vereinigung „Kooperative“ und lässt seine schwangere Frau Jessie und die beiden Söhne zurück.

Acht Jahre später steht Jack in einem roten Cadillac wieder mitten auf der Main Street. Und obwohl die Zeit in Holt nicht stehen geblieben ist, hat sich der Zorn der Bewohner Holts nicht in Luft aufgelöst.

Kent Haruf schreibt in „Ein Sohn der Stadt“ über Menschen, über Verflechtungen von Leben und der Gemeinschaft in der fiktiven Kleinstadt Holt. Mit seinen Szenen zeichnet er eine liebevolle Idylle, erzeugt eine sehnsüchtige Atmosphäre, zeigt aber dennoch, dass es nicht nur eitel Sonnenschein gibt. Die Charaktere in Harufs Romanen sind so nah und realistisch. Als Haruf-Fan konnte ich über das fehlende Etwas in dieser Geschichte hinwegsehen. Es war sein erster Roman. Seine Arbeit wurde meiner Meinung nach mit jedem weiteren Buch besser.

Für alle Kent Haruf Fans und für die, die es werden möchten! Leseempfehlung!

– Der Flug des Raben –

Richard Wagamese

Garnet Raven erlebte mit drei Jahren, wie viele Kinder kanadischer First Nations auch, das Schicksal von der eigenen Familie getrennt und in Pflegefamilien gesteckt zu worden zu sein. Über seine Herkunft weiß er fast gar nichts, wächst bei Weißen auf und merkt, dass egal was er macht, er nicht als Weißer gesehen wird. Anfangs erfindet er die skurrilsten Geschichten wenn er auf seine Abstammung angesprochen wird. In den 70ern freundet er sich mit Leuten aus der Black Community an, lässt sich einen Afro frisieren und trägt farbenfrohe Kleidung, ganz nach seinem Idol James Brown.

Als er wegen kleinerer Drogendelikte ins Gefängnis kommt, erhält er nach einiger Zeit einen Brief. Zu seiner Überraschung schreibt ihm ein gewisser Stanley Raven, der behauptet sein Bruder zu sein. In diesem schildert er ihm, wie man Garnet als Kind der Familie entrissen und wie die Familie all die Jahre nach ihm gesucht hat. Nach seiner Entlassung  beschließt Garnet nach Ontario zu reisen, um seine Familie im Reservat zu besuchen. Als er ankommt, muss er feststellen wie groß seine Familie ist, welche Probleme sie haben und wie ungewohnt und fremd ihm alles ist. Einer der Ältesten, Keeper, nimmt sich seiner an. Als letzter Hüter der Ojibwe unterweist er Garnet und macht ihn mit den Traditionen und der Geschichte seines Stammes vertraut.

Dies lässt Garnet bald verstehen woher er abstammt, was Land den First Nations bedeutet und lässt ihn die tiefe Verbundenheit mit dem Leben spüren, die er bisher immer vermisst hat.

Richard Wagamese war ein fantastischer Erzähler. In seinen Büchern widmete er sich der Geschichte seines Stammes und den Widrigkeiten, die sie zu ertragen hatten. Er selbst ist in Heimen und bei Pflegefamilien aufgewachsen, bis er mit Anfang 20 endlich wieder mit seiner Familie vereint wurde. Mit diesen Erfahrungen schrieb er weise, berührende Bücher in sensiblen Worten, um die Geschichten zu bewahren und seinem Volk eine Stimme zu geben. Der Autor verstarb in 2017.

Absolut lesenswert.

– Die Kunst zu lesen –

Frank Berzbach

“Es gibt Buchmenschen. Für sie gehört der Umgang mit Büchern zur Lebenskunst, sie sind mehr als Zeitvertreib und mehr als ein -Hobby-.”

Hingabe ist für Frank Berzbach nicht nur ein Wort, sondern eine Lebenseinstellung. 

Ob handgeschriebene Briefe, eine Affinität zum Analogen, Musik, Spiritualität oder eine handgefertigte Teetasse mit kleinen Schönheitsfehlern. Er zelebriert, er fließt hinein, ist achtsam.

Die Kunst zu lesen handelt von einer weiteren Passion. Die Liebeserklärung an die Literatur. Er schreibt über Bücher, die ihn begleiten, über uns Leser*innen, die literarisch reisen und auf diese Weise einzigartigen Menschen begegnen, fremde Orte und Welten entdecken und sich dem geschriebenen Wort hingeben.

Er erzählt uns Buchmenschen von seinen bisherigen Begegnungen in der Welt der Geschichten, die uns so sehr faszinieren können und die so essentiell für uns sind.

Ich habe mir eines der Exemplare aus der Sonderedition bestellt. Frank, der Literaturverführer, hat diese speziellen Ausgaben angereichert mit eigenen Notizen, privaten Gedanken und Fotos, die diese ganz spezielle Stimmung transportieren. Book Provocateur.

Sobald ich es aufschlage spüre ich eine tiefe Verbundenheit zu dieser Gemeinschaft der Lesenden. Vieles kommt mir bekannt vor, ich schreibe meine Gedanken dazu, möchte Ideen zusammenbringen, mich in irgendeiner Form beteiligen. Eine wohlige Form der Gemütlichkeit und Nostalgie.

– Wo auch immer ihr seid –

Khuê Pham

Kieu hat sich in Kim umbenannt, weil nicht einmal sie selbst ihren vietnamesischen Namen korrekt aussprechen kann.

Sie ist 30 Jahre alt, lebt in Berlin, arbeitet als Journalistin und ist mit Dorian liiert, einem Deutschen der in Berliner Szenelokal arbeitet.

Als Kind vietnamesischer Einwanderereltern wächst sie mit ihren Geschwistern in zwei Kulturen auf.

Kim identifiziert sich weitaus mehr mit der deutschen Kultur und ist ziemlich überrascht, als sich eines Tages ein Mann über Facebook bei ihr meldet, der sich als ihr Onkel Son herausstellt.

Der Bruder ihres Vater, der mittlerweile in Kalifornien (USA) lebt, informiert die Familie über den Tod der Mutter/Großmutter.

Kieu/Kim reist mit ihren Eltern nach Kalifornien um der Testamentseröffnung beizuwohnen und kommt so noch dem ein oder anderen Familiengeheimnis auf die Spur.

Wie gut kennt sie ihren Vater Minh und warum immer nur geschwiegen?

Für mich war “Wo auch immer ihr seid” von Khuê Pham die ausdrucksstarke und aufwühlende Familiengeschichte, die ihre Spuren hinterlässt.

Schmerzhafte Themen wie Krieg, (Familien-) Trennung, Flucht und die Hoffnung auf ein besseres Leben, prallen auf Weitermachen in einer fremden Kultur, an die man sich so gut wie nur irgend möglich anpassen möchte.

Die Autorin schafft es geschickt die Rückblenden aus drei Generationen durch den Roman zu führen und die Spannung zu halten. Der Krieg wird nicht detailliert beleuchtet, aber die Beschreibungen reichen insoweit aus, dass man die bedrückende und verzweifelte Situation des damaligen Bürgerkriegs und des Kommunismus erahnen kann. Hier bekommt man praktisch eine Einladung zur Auseinandersetzung mit dem Vietnamkrieg und dessen Folgen.

Khuê Pham hat viel von sich preisgegeben in ihrem Debütroman. Sprachlich ist er eher schlicht gehalten, was dem Inhalt allerdings nicht schadet. Ein interessantes und vor allem lesenswertes Buch über Familienstrukturen.

Auf dieses Buch aufmerksam gemacht, hat mich Silvi von Feiste Bücher Podcast: https://open.spotify.com/show/05zeNoLcPXU9HUIF4hDu36?si=Is344cHBTr2D_e0dBzk51Q&dl_branch=1

– Der Geist von Tiger Bay –

Nadifa Mohamed

Wenn man den Namen -Mahmood Mattan- bei Google eintippt, dann kann man kaum glauben was alles in einer angeblich zivilisierten Gesellschaft möglich ist.

Mahmood Mattan, ein somalischer Seemann, findet in den 50er Jahren ein neues zu Hause in Großbritannien, Cardiff. In TIger Bay schlägt er Wurzeln, findet in der Waliserin Laura eine Ehefrau und gründet eine Familie.

Wie (leider) nicht anders zu erwarten müssen sie sich mit Rassismus gegen ihre multikulturelle Ehe herumschlagen.

Irgendwann folgt die Trennung, doch sie wohnen noch nah beieinander.

Einen Job kann Mahmood nicht lange behalten, er spielt gerne und verdient sich durch kleine Ganovenjobs hier und da noch was dazu. Nichts womit man eine fünfköpfige Familie ernähren kann.

Als die jüdische Ladenbesitzerin Violet nach Geschäftsschluss noch einen letzten Kunden bedienen will, wird sie kurze Zeit später von ihrer Familie brutal ermordet aufgefunden.

Die Polizei von Cardiff ermittelt und findet in dem unschuldigen Mahmood ein perfektes Opfer, um einen Ermittlungserfolg zu präsentieren.

Es folgen fingierte Beweise, Falschaussagen durch Belastungszeugen und ein Weißes Gericht, welches Mahmood kaum bis gar keine Chance lässt.

Nadifa Mohamed legt den Finger in die Wunde unserer Zeit. Was leicht zu erkennen ist, wenn man nicht völlig ignorant ist – wir sind nicht wirklich weiter gekommen.

Anfangs zog es sich für mich ein wenig, aber das Tempo wird spätestens ab dem Gerichtsprozess angezogen.

Sie schreibt über einen Mann, der zum “Geist” wird, da die rassistischen Strukturen in seiner neu gewählten Heimat kein Ankommen ermöglichen.

Vorurteile, Hass und Ablehnung führen dazu, dass er obwohl er es nicht schaffen kann, versucht unsichtbar zu sein, um keinen Preis auffällig zu werden und sich den Blicken der Öffentlichkeit weitestgehend zu entziehen.

Die Autorin lässt zwar Fakten und Fiktion in ihrem Roman miteinander verschwimmen, doch die Wahrheit liegt ungeschönt auf allen Seiten.

Nominiert für den Booker Prize 2021.

– Daheim –

Judith Hermann

Eine Frau wagt in der Mitte ihres Lebens einen Rückblick. In ihrer Erinnerung findet sie zurückliegende Begegnungen wie die mit einem Zauberer, für den sie in seiner Show als Assistentin um die Welt reisen sollte.

Stattdessen heiratete sie Otis und bekam Tochter Ann. Als diese auszieht, verlässt die namenlose Ich-Erzählerin ihren Mann.

Fortan lebt sie zurückgezogen an der Küste, arbeitet als Kellnerin in der Kneipe ihres älteren Bruders, der zu ihrer Verwunderung mit der 20jährigen Nike eine Beziehung führt.

In Arild, dem örtlichen Eigenbrötler, findet sie einen fähigen Liebhaber weniger Worte. Dieser hat eine Schwester, die ungezwungene Mimi, mit der die Protagonistin eine nachbarschaftliche Freundschaft eingeht.

“Daheim” von Judith Hermann ist ein Roman, der scheinbar keine Handlung hat. Vielmehr transportiert er meiner Meinung nach eher ein Gefühl der Leere, Suche nach Nähe. Alle Figuren scheinen emotional verkümmert zu sein. Sie leben dort draußen, in der kargen Landschaft am Meer und leben doch nur aneinander vorbei. Hier und da streifen sie sich, doch sind sie alle gefangen in ihrer Unfähigkeit und Isolation.

Die spröden, hypnotischen Zeilen haben mich sehr gefesselt, aber ich bin mir ziemlich sicher dies ist ein Buch, welches vielen Lesern Probleme bereiten kann.

Niemand ist tatsächlich sympathisch, Chancen werden einfach nicht ergriffen, alle kreisen in ihrem eigenen kleinen Kosmos umher.

Für mich ein Roman zum Verweilen und Eintauchen.