Kai Wieland hatte gerade in der Livesendung mit @literarischernerd aus seinem neuen Buch „Zeit der Wildschweine“ vorgelesen und es kam bereits im ersten Kapitel eine Erwähnung von James McAvoy in dem Film Abbitte…das war der Moment, als mein Interesse geweckt war und ich das Buch lesen wollte. Gesagt, getan.
Es geht in dem Roman um Leon, Ende 20, der als Journalist arbeitet und diesen Job nutzt um soweit wie möglich dem provinziellen Nest aus dem er kommt zu entfliehen. Als Leons Vater das Elternhaus gegen seine Singlewohnung tauschen möchte, ist er anfangs zwar nicht begeistert, da er das Haus aber nicht verkauft sehen möchte, stimmt er letztendlich zu.
Ein weiterer Erzählstrang handelt von Leons Arbeitstrip mit Janko, einem tätowierten, exzentrischen Fotografen, mit dem er eine Reportage über Lost Places in Frankreich macht. Dünkirchen, Calais…alles geschichtsträchtige Orte, die dafür prädestiniert sind.
Ein Buch voller Rückblenden, Erinnerungen, Anspielungen aus Literatur und Film, dazwischen immer wieder wirklich sehr poetische Gedankengänge. Die Figur des Leon hat mich wirklich verärgert. Vielleicht war es Absicht oder er war mir nur unsympathisch, weil er seiner Familie und jeglicher „Verpflichtung“ aus dem Weg geht.
Im Vergleich dazu habe ich stark mit dem ruppigen Janko sympathisiert und mit dem Nachbarn Seibold, der immer ein Auge auf alles zu haben scheint.
Fazit: Ein vielschichtiges, surreales Buch mit starken Bildern.
Ich habe sie November 2008 für mich entdeckt, als ich einen Band „Liebesgedichte“ von ihr gekauft habe. (Insel Taschenbuch) Später kamen dann ihre beiden Romane „Chuzpe“ und „Zu sehen“ dazu und seitdem bin ich ein richtiger Fan. Deswegen habe ich mir natürlich schnell ihr kürzlich erschienenes Buch „Alt sind nur die anderen“ besorgt.
Ein sehr kurzes Buch mit gerade mal 80 Seiten, aber unvergleichlich amüsant und lakonisch erzählt Lily Brett vom älter werden und dem Leben in New York.
Oft muss man schmunzeln wenn sie selbstironisch über das Liebäugeln mit einer großen, grauhaarigen Frau berichtet, die sie für ihren Mann oder einen Hydranten, den sie für einen Hund hielt, bevor sie sich endlich dazu durchrang, ihren Grauen Star operieren zu lassen. Oder wenn sie völlig euphorisch mit ihrer neuen Dusche angibt und jedem davon erzählt, als wäre sie ein kleines Kind, welches freudestrahlend von seinen Weihnachtsgeschenken erzählt
Immer wieder schleicht sich das Alter ein in den Beobachtungen der Menschen und der Stadt New York. Es beschäftigt sie, nervt sie und lässt sie manchmal verzweifelt zurück, denn sie fühlt sich nicht wie 70, wie sie oft betont.
Zur Autorin: Lily Brett wurde als Tochter zweier Holocaust-Überlebender geboren und schreibt in ihren Werken oft über Selbstfindung als Jüdin der zweiten Generation nach der Shoah und den Schuldgefühlen, die diese Generation mit sich herumträgt. Verdrängte Schuldgefühle der Eltern überlebt zu haben gegenüber den vergasten Angehörigen, wurde auf ihre Kinder vererbt.
„Viele von uns wurden zu den Eltern ihrer Eltern.“ (Anita Haviv, FAZ 2014)
Welch eigenartigen Sog dieses Buch auf mich wirkt, ein seltsam wohliges Gefühl, dass sich in mir ausbreitet.
Eine namenlose Frau, an namenlosen Orten, begegnet namenlosen Menschen und erzählt in knappen Kapiteln aus ihrem Leben, worüber sie nachdenkt und was alles um sie herum geschieht. Sie bewertet ihren privaten und beruflichen Werdegang als stille, scheinbar unsichtbare Hauptfigur in ihrem eigenen kleinen Universum.
Diese kleinen tagebuchähnlichen Episoden erzählen so geistvoll und ruhig vom Seelenleben einer Frau, die oft nur zur Kenntnis nimmt, statt selbst richtig mitzumischen.
Jhumpa Lahiri bedient sich einer so wunderbaren, klar verständlichen Sprache, die den Leser in eine Stimmung versetzt, die durch einen hindurchgeht, durchdringt und einhüllt. In diesen kurzen Episoden wohnt eine unsagbar ätherische Schönheit inne.
Ich habe „Wo ich mich finde“ über mehrere Tage immer wieder zur Hand genommen, bin damit verschmolzen und habe mich in einer Art Ruhe wiedergefunden, die mir unerklärlich war. Es gab keinen Grund es schnell zu lesen, das wollte ich auch nicht. Ich wollte ewig davon zehren und mich in diesen geschriebenen Gedanken verlieren.
Einfach hervorragend. Für mich persönlich ganz große Literatur.
Was für ein turbelenter, schöner Monat das für mich war!
Im Kindergarten waren Ferien und ich hatte wieder viel Zeit mit den Twins. Wir waren je nach Wetter viel auf der Terrasse oder auf dem Spielplatz.
Mein persönliches Highlight war mein „Jahresurlaub“ auf Usedom…einmal im Jahr ermöglicht mir die beste Oma der Welt eine Woche Auszeit und ich kann verreisen, während sie die Mädchen hütet.
Ich habe mein geliebtes Meer wieder gesehen. Eine besondere Verbindung scheint zwischen uns zu herrschen und ich war täglich am Strand um diese grenzenlose Weite in mich aufzunehmen und um mich einem großen Schwung Bücher zu widmen.
Leseliste im August:
Nicolas Mathieu – Rose Royal
James Baldwin – Beale Street Blues
Nina Wähä – Vaters Wort und Mutters Liebe
Olga Tokarczuk – Der Schrank
Sayaka Murata – Die Ladenhüterin
Nava Ebrahimi – Das Paradies meines Nachbarn
Robert Seethaler – Der letzte Satz
Graham Swift – Da sind wir
Christoph Poschenrieder – Das Sandkorn
Elena Ferrante – Das lügenhafte Leben der Erwachsenen
Für die Kinder:
Davina Bell/ Allison Colpoys – Was Du nicht alles kannst
„Lügen, nichts als Lügen, die Erwachsenen verbieten sie und lügen dabei selbst, was das Zeug hält.“
In „Das lügenhafte Leben der Erwachsenen“ entführt uns Maestra Elena Ferrante wieder nach Neapel. Dieses Mal aber Ecke Vomero, wo die besser gestellte Gesellschaft in ihren Villen und teuren Anwesen lebt.
Hauptfigur Giovanna ist 13 Jahre alt, geliebte Tochter ihrer Akademikereltern und fleißige Schülerin. Mit Beginn der Pubertät verändert sich alles. Nicht nur das jugendliche Aufbegehren gegen die Eltern, auch körperliche Veränderungen tragen ihren Teil dazu bei, dass Giovanna sich immer mehr mit ihrer Familiengeschichte auseinandersetzt.
So erfährt sie von Vittoria, ihrer Tante väterlicherseits, von der sie immer ferngehalten wurde. Diese arbeitet als Putzfrau auf der anderen, der armen Seite Neapels. Sie ist laut, vulgär und so ganz anders als der Rest ihrer Familie. Ihr Stadtviertel ist geprägt von Kriminalität, Armut und geringer Bildung der Bewohner.
Vittoria, ein ganz spezieller und vor allem äußerst schwieriger Charakter, nimmt kein Blatt vor den Mund und öffnet mit ihrer unkonventionellen, unberechenbaren Art Giovannas Blick auf die Welt. Insbesondere den auf die Erwachsenen und deren Verhalten.
Giovanna beginnt ihr Umfeld mit anderen Augen zu betrachten, alles mögliche zu hinterfragen und sich eine eigene Meinung zu bilden. Nichts scheint mehr so einfach zu sein! Vater und Mutter sind nicht die tadellosen, ehrbaren Eltern wie sie immer glaubte und auch andere Erwachsene sind hinter der Fassade oft fähige Lügner und Meister der Manipulation. Wie soll man sich da zurechtfinden?!
Ein ganz wundervolles Buch über das Erwachsenwerden! Ferrante schafft durch ihre Protagonistin ein Paradebeispiel für junge Mädchen und deren Veränderung zur Frau. Sie schreibt über den Reifeprozess von Teenagern und damit einhergehende Probleme, die Erkenntnis darüber wie naiv man gewesen ist und wie schwer es ist in diesem „Spiel“ zu bestehen und seinen Weg zu finden.
Die Autorin spielt mit dem Leser wenn sie die Erwartungen in eine ganz andere Richtung lenkt und somit für echte Überraschungen sorgt. Bezeichnend ist auch wieder ihr Markenzeichen – es wird ganz großer Wert auf die Sprache gelegt, auf Schule und Bildung. Kultiviertes Hochitalienisch vs. ordinärem Dialekt. Ihre Sicht und Beschreibung von Freundschaft und Familie ist so realistisch und glaubwürdig – immer sehr komplex und ambivalent. Es ist nicht immer alles schwarz und weiß.
Karin Krieger, die hier wieder einmal kongenial übersetzt hat, erwähnte im Interview noch einen ganz wichtigen Punkt: Es wird viel über Sex geschrieben in diesem Roman und das ist genau das was Jugendliche umtreibt. Hier nimmt Ferrante aber nicht nur die Erfahrungen von Mädchen unter die Lupe, sondern beleuchtet ebenso gekonnt den Umgang von Jungs die zu Männern werden damit. Oft sind die Unterschiede bezeichnend welche Erwartungen an beide Geschlechter gestellt werden. Stichwort: toxische Männlichkeit, Bild der Frau in der (italienischen) Gesellschaft.
Leider muss ich sagen, dass „Normale Menschen“ von Sally Rooney ein Buch ist, welches ich lieber nicht gelesen hätte.
Ursprünglich hat mich das Thema der On/Off Beziehung interessiert – das war auch der Grund, warum ich es gekauft habe.
Die Geschichte handelt von Marianne und Connell, die von der irischen Westküste stammen und später gemeinsam in Dublin studieren.
Mariannes Familie ist wohlhabend und Connells Mutter arbeitet als Putzkraft auf deren Anwesen.
Rooney kratzt an Themen wie soziale Klassenunterschiede, Depressionen, Mobbing und häusliche Gewalt…das wäre alles hochinteressant, würde das alles nicht unter dieser kitschigen, verkorksten Liebesgeschichte zwischen den Protagonisten leiden.
Irgendwo fiel schon das Wort Millenials und da kann ich nur zustimmen. Ich empfand es als pseudo-tiefgründigen Liebeskitsch und habe sehr sehr oft den Kopf geschüttelt.
Dann werden noch typische „50 Shades of Grey“ Sex-Szenen eingebaut, während Marianne und/oder Connell mal wieder in einer fürchterlichen Identitätskrise stecken.
Da dachte ich ein ums andere Mal: Was ist das? Ne Daily Soap?!
Für mich war es ein absoluter Fehlkauf und ich hoffe nur, dass ich diesen ganz schnell vergesse.
Für die #backlistlesen Gruppe von Diogenes, haben wir in der #No18 „Das Sandkorn“ von Christoph Poschenrieder gelesen.
Das Thema des Romans ist Homosexualität, Stigmatisierung, Homophobie in den 1914/1915er Jahren und eine Dreiecksbeziehung.
Ich hatte für ein anderes Buch von Poschenrieder gestimmt, aber ich gehe offen in jede Leserunde rein, auch wenn es mal nicht das Buch meiner Wahl ist.
Die Handlung dreht sich um Jacob Tolmeyn, Kunsthistoriker, schwul und seinen Assistenten „Beat“ Imboden, seine heimlichen Liebe.
Doch Paragraph 175 hindert ihn daran, frei zu leben. Homosexualität steht unter Strafe und dies löst so einige Probleme aus. Unter anderem Erpressung – aus diesem Grund verlässt Tolmeyn Berlin und nimmt nur allzu gern eine Anstellung in Rom an, wo es derlei harte Gesetze gegen Homosexuelle nicht gibt.
Imboden begleitet ihn und durch die vom Staat beauftragte Begleiterin Letizia Trivulzio di Belgioioso wird das Trio komplett. Es entspinnen sich einige Situationen, aus denen mehr werden könnte, aber ich gehe mit Einigen aus der Leserunde konform wenn ich sage, dass dieses Buch ein Buch der verpassten Chancen ist.
Es wird viel geredet und angedeutet, aber leider bleibt es dabei. Auch fand ich den Roman auf 300 von 400 Seiten sehr langatmig und teils wirklich monoton erzählt. Die Figur der Letizia kam für mein persönliches Empfinden viel zu spät in die Story. Das fand ich sehr schade, weil ich sie besonders interessant fand!
Man muss Poschenrieder aber zu Gute halten, dass der Roman stilvollendet und literarisch detailliert ist.
Ich glaube für einen Poschenrieder-Erstleser ist das nicht der richtige Roman. Aus diesem Grund gebe ich ihm noch eine Chance und werde mit Sicherheit auch „Mauersegler“ von ihm lesen – für den habe ich nämlich gestimmt.