Johann studiert in Marburg der Siebziger, jobbt und steuert durch seinen Alltag. Irgendwann lernt er Christiane kennen, die schon immer mit Tommi zusammen ist, diesen aber endlich verlassen möchte. Hierzu möchte sie bei Johann, oder vielmehr Gianni wie sie ihn nennt, einziehen.
Johann lässt sich darauf ein, jedoch ohne sichtliche Gefühlsregung. Auch Christianes Motive scheinen nicht ganz eindeutig zu sein. Irgendwann steht auch noch Tommi vor der Tür und zieht letztendlich mit ein, was letztendlich in einer Dreiecksbeziehung mündet.
Eine intensive, düstere Geschichte, die mich irritiert hat.
Michael Köhlmeier bearbeitet in seinem Roman Themen wie Abhängigkeit, Sehnsüchte und Moral, jedoch ohne eine ergänzende Erklärung weshalb ich mich ein wenig sitzengelassen fühle. Sprachlich sehr sachlich, ähnlich emotionslos wie die Protagonisten, deren Entscheidungen man oft nicht nachvollziehen kann.
Ein literarisch anspruchsvolles, gefühlt unergründliches Stück Literatur.
Erschienen bei Hanser. [unbezahlt | selbstgekauft]
Ein junger Mann versucht dies unter großer Angst, denn psychische Krankheiten, Sucht und Todessehnsucht liegt über mehrere Generationen sowohl mütter- als auch väterlicherseits in seinen Genen.
“Aber wenn ich eines in meinem Studium gelernt habe, dann, dass die Seele eine vage Idee ist. Sie entwischt dem menschlichen Wunsch nach Eindeutigkeit immerzu.”
Doch egal wohin ihn seine Flucht führt – New York, Paris und letztendlich Wien…es gibt kein Entkommen. Seine Wurzeln, die Kindheit, geprägt durch die Suizidversuche seiner schizoiden Großmutter, den Alkoholismus seiner Mutter, die Depressionen des einsiedlerischen Vaters lassen ihn im Erwachsenenalter nirgends Fuß fassen.
“In der Ratlosigkeit begegnen wir einander. Dort wird es interessant, existenziell. Auch ich habe keine Gebrauchsanweisung fürs Leben.”
Und am Ende landet er doch in der Psychatrie, jedoch als Psychologe um so seiner Familiengeschichte auf den Grund zu gehen und seine eigene Akte zu erstellen.
“In Deutschland ist jeder Achtzigste abhängig, las ich später. Geschichten wie diese spielen sich so oder so ähnlich in jeder Straße ab.”
Fazit: Ein Roman ganz nach meinem Geschmack! Das es sich hierbei um ein Debüt handelt merkt man nicht! Vielmehr erkennt man ein großartiges Gespür für Selbstironie, Beobachtungsgabe und Empathie. Leon Engler lässt seinen Protagonisten durch mehrere Generationen an genetischer Vorbelastung das eigene Verhalten erspüren und reflektieren. Hierzu bedient er sich einer ruhigen, authentischen und äußerst gewählten Sprache. Gelungen und literarisch!
[unbezahlt | Rezensionsexemplar] vielen Dank @dumontbuchverlag für die Bereitstellung
Yara, Ehefrau und Mutter zweier Kinder, führt ein gutes Leben.
In ihrem Job betreut sie den Social Media Auftritt der Universität bei der sie auch als Dozentin einen Einführungskurs hält.
Ihrem Ehemann Fadi ist sie eine treue, fürsorgliche Ehefrau und sie ist stolz darauf, dass sie sich trotz ihres familiären palästinensischen Einflusses anders als ihre Mutter zu einer selbstsicheren, unabhängigen Frau entwickelt hat.
Aufgewachsen als Tochter migrantischer Eltern die ihr Glück in Amerika gesucht haben, hat sie die patriarchalen Zustände in der Ehe ihrer Eltern hautnah miterlebt und sich geschworen, dass sie später selbstbestimmt leben wird.
Es kommt jedoch anders. Fadi arbeitet den ganzen Tag und ihr wird sowohl der Haushalt, als auch die Kindererziehung selbstverständlich zugeschoben. Dies bremst sie automatisch auf der Karriereleiter aus, da die Kinder und familiäre Verpflichtungen ihre Zeit und Ambitionen praktisch vollends in Anspruch nehmen. Beruflich unterfordert und vom Alltag ernüchtert, rücken ihre Träume immer weiter in die Ferne.
Als an der Uni freiwillige Lehrkräfte für eine Studienreise gesucht werden, möchte sich Yara bewerben. Schon immer hat sie davon geträumt zu reisen und die Welt zu sehen. Fadi holt sie jedoch schnell in -seine- Realität zurück, erinnert sie an ihre Pflichten und er in der Arbeit nicht kürzer treten kann. Mit seinen Ansichten und Vorwürfen wird Yara bewusst, dass sie doch nicht so modern und frei ist, wie sie immer gedacht hatte. Kurze Zeit später gerät sie wegen der Reise mit einer Kollegin wegen einer rassistischen Bemerkung aneinander. Als Yara die Beherrschung verliert, wird sie vom Arbeitgeber praktisch gezwungen einen Therapeuten aufzusuchen und letztendlich gekündigt.
Nun ist nichts mehr wie vorher. Auch Yara hat sich verändert und obwohl zuerst widerwillig, sucht sich erneut Hilfe. Mit der Unterstützung ihrer neuen Therapeutin und ihrem Tagebuch, beginnt Yara zu hinterfragen woher ihre Wut kommt, die Traurigkeit und wie sie einen Weg aus dem Ganzen finden kann.
Evil Eye von Etaf Rum habe ich aus Zufall entdeckt und eher beiläufig mitgenommen. Für mich war es ein wahrer Pageturner und trotz des schweren Themas leicht zugänglich. Seite für Seite hat sich das Leid der Protagonistin in diesem patriarchalischen System entfaltet, hat mich oft wütend gemacht und aufgewühlt. Viele Situationen die Yara bewältigen musste, haben sich Frauen in unterschiedlichen Facetten schon mehr als einmal gegenüber gesehen, ganz gleich welcher Kultur sie angehören. Patriarchat ist kein kulturelles Problem – es ist ein männliches.
Fadi ist ein Experte in Gaslighting und Manipulation. Ich war ein ums andere Mal richtig verärgert, wollte Yara anbrüllen sich nicht so behandeln zu lassen.
Natürlich kann man kritisieren, dass Etaf Rum einige Charaktere sehr klischeehaft beschrieben hat. Die sich ewig einmischende Schwiegermutter, der Vater der als gewalttätiger Patriarchat seine Tochter zur Vernunft bringen und ihr Familienschande unterstellen will usw…natürlich ist dies überzeichnet, aber dennoch hat es in die Geschichte gepasst. Und auch wenn dies nicht auf alle Familien zutrifft, so ist dies für das Storytelling nicht an den Haaren herbeigezogen.
Fazit: Ein gutes Buch, welches geographische, kulturelle Grenzen überschreitet und mit seinem Niveau eine breitgefächerte Leserschaft erreichen kann.
Ein intensives Buch, welches sich mit der Ambivalenz von Familienleben auseinandersetzt, in denen Alkoholiker das Leben aller nahestehenden Personen in irgendeiner Form nachhaltig beeinflussen.
Die junge Ich-Erzählerin “Motte” wächst mit einem Vater auf, der durch Alkohol-, Spielsucht ihr gesamtes weiteres Leben beeinflussen wird.
Seine Alkohol- und Spielsucht verändern ihn zu einem Menschen, der eine blasse Erinnerung seines früheren Ichs wird.
Doch der Alkohol verändert nicht nur ihn, auch die Familie kämpft ums Überleben. Die Mutter versucht durch die Tage zu kommen, der Bruder ist ihre Stütze…als der Vater durch seine Trinksucht arbeitslos wird, steht die Familie vor dem Ruin.
So ist es nicht verwunderlich, dass auch Motte als Erwachsene Probleme mit Alkohol hat und mit einem Trinker liiert ist. Allein ihr Bruder ist noch für sie da und gibt sie nicht auf.
Lena Schätte hat mit -Das Schwarz an den Händen meines Vaters- ein bewegendes, ja ich würde sogar sagen, sehr trauriges Buch geschrieben. Ohne Schuldzuweisungen werden darin die Auswirkungen von Abhängigkeit und Co-Abhängigkeit behandelt. Absoluter Lesetipp!
Was habe ich diesen #Wohlfühlroman von Lucy Fricke gebraucht! Und wenn ich Wohlfühlroman sage, dann meine ich das in keiner Weise abwertend, sondern genau das warme, schöne und herzerwärmende Buch, welches man bei den ganzen Katastrophen und täglichen Hiobsbotschaften unserer Zeit braucht, um die Hoffnung nicht zu verlieren.
Jacob ist 50 geworden und strauchelt mit seinem Dasein, die Karriere in der Filmindustrie als Regisseur eher mittelmäßig. Er fühlt sich ausgelaugt und alt. Aus diesem Grund wünscht er auch keine Feier zu seinem Geburtstag. Doch seine beste Freundin Ellen hat ganz andere Vorstellungen und so organisiert sie für Jacob eine Reise in seine Vergangenheit. Jacob staunt nicht schlecht, als er an einem einzigen Tag immer wieder alte Bekannte trifft, die einst eine größere Rolle in seinem Leben gespielt haben. Mit jedem dieser Begegnungen lässt er die Vergangenheit Revue passieren und blickt auf die Jahre eines Menschen, der wohl doch noch nicht alles hinter sich hat und hoffnungsvoll nach vorne blicken kann.
Lucy Fricke hatte hier in meinen Augen eine großartige Idee, für eine zwar (fast) vorhersehbare Handlung, doch die liebevollen Protagonisten und die angenehm flüssige Erzählweise, lässt einen nur so durch die Kapitel gleiten. Ein berührender Roman mit dem man eine gute Zeit hat.
Während Schriftstellerin Gyeongha um die passenden Worte für ihr eigenes Testament ringt, erhält sie einen Anruf ihrer Freundin Inseon. Die ehemalige Dokumentarfilmerin hat sich wegen der Pflegebedürftigkeit ihrer Mutter auf ihre Heimatinsel Jeju zurückgezogen und arbeitet nach deren Tod seit langem als Tischlerin.
Im Krankenhaus erfährt Gyeongha was passiert ist — Inseon hat sich bei der Arbeit einige Finger abgeschnitten und kann auf Grund der aufwendigen Behandlung nicht nach Hause. Aus Sorge um ihr Haustier, ein weißer Vogel, bittet Inseon Gyeongha den Weg auf sich zu nehmen und sich um das Tier zu kümmern, denn ohne Hilfe wird es nicht überleben. Nach kurzem Zögern beschließt Gyeongha sich auf den Weg nach Jeju zu machen. Doch dies stellt sich durch einen Schneesturm als äußerst beschwerlich heraus. Geplagt von ihrer Migräne, kämpft sie sich vorwärts und es gelingt ihr den letzten Bus zu erwischen, bevor der Betrieb wegen des verheerenden Wetters stillgelegt wird.
Als sie Inseons Haus erreicht, muss sie feststellen, dass sie zu spät gekommen ist. Der Vogel ist gestorben.
Am nächsten Morgen steht plötzlich Inseon vor ihr und auch der Vogel ist offenbar noch am Leben. Hat sie dies alles nur geträumt oder handelt es sich hierbei um Geister…Gyeongha vermag Traum nicht mehr von Realität zu unterscheiden und lässt sich von Inseon durch ein wichtiges, aber dunkles Kapitel der koreanischen Geschichte führen.
Durch Inseons Familiengeschichte entfaltet sich das ganze Grauen des Jeju-Massakers von 1948. In ihrem Atelier findet Gyeongha Dokumente, Berichte und Artikel über das grausame Ereignis, welches 30.000 Menschen das Leben kostete und viele Jahrzehnte lang von der Regierung totgeschwiegen wurde.
Ein kräftezehrendes Buch voller Symbolik, über unvorstellbare Verbrechen und die Verdrängung.
Trotz der Schwere des Themas schafft es Han Kang wieder einmal durch ihre leise, sanfte Erzählkunst einen beeindruckenden Roman über Traumata, Schmerz und Erinnerung abzuliefern.
Im Wechsel zwischen Vergangenheit und Heute, zwischen Traum und Wirklichkeit erzählt Kang in geschickten Verflechtungen die Erfahrungen, die inneren Kämpfe, die tief verwurzelte Trauer, Abscheu und den Schock der koreanischen Gesellschaft über das Jeju-Massaker.
Ein dunkles Kapitel welches sich im kollektiven Bewusstsein Südkoreas eingebrannt hat. 30.000 Leben die ausgelöscht wurden, ihre Körper in Massengräbern verscharrt und ihr Schicksal von den Behörden unter Verschluss gehalten.
Ein tiefgründiger Roman, der mich nachhaltig beeinflusst hat. Die Ergebnisse meiner Recherchen zum Jeju-Massaker haben mich sprachlos zurückgelassen. Ich war tagelang nicht in der Lage eine Rezension zu schreiben oder ein neues Buch anzufangen.
“Elfjährige ertränkt sich, die Lehrerin verschwindet.”
Die Lehrerin Silvia erfährt aus der Zeitung, dass sich ihre Schülerin Giovanna das Leben genommen hat. Kurz nachdem Silvia bei den Eltern angerufen hat um etwas zu besprechen, stürzte sich das junge Mädchen in den Wildbach vor ihrem Fenster.
Von Schuldgefühlen geplagt geht Silvia nicht in die Schule zurück, sondern begibt sich in den nahegelegenen Wald.
Silvia, einst ein Waisenkind, lebte im Internat und kennt die Härte, die Erwachsene Kindern entgegenbringen können. Sie versteht die jungen Schüler:innen, die regelmäßig mit blauen Flecken zur Schule kommen und möchte etwas bewirken. Niemals hätte sie gedacht, dass der Anruf bei Giovannas Eltern das Mädchen in solch eine Verzweiflungstat treibt.
Das Verschwinden Silvias besorgt die Gemeinde im Dorf und es kommt schnell zu Suchmannschaften, deren Bemühungen allerdings fruchtlos bleiben.
Während Silvia in einer Kapelle im Wald vor Kummer, Verzweiflung und Schock vor sich hinvegetiert, versuchen Silvias Angehörigen die Ereignisse zu verstehen und die Hoffnung nicht zu verlieren.
Eines Tages beschließt der asthmatische Martino, ein Schüler der kürzlich von Turin in das Dorf gezogen ist, sich selbst auf die Suche nach der Lehrerin zu begeben. Schon bald findet er Silvia in einem desolaten Zustand. Sie ringt ihm das Versprechen ab, ihren Aufenthaltsort geheim zu halten. Fortan versorgt Martino die Lehrerin mit Essen und Wasser, hadert aber immer wieder bei dem Gedanken, ob es richtig ist das Geheimnis um Silvias Versteck für sich zu behalten.
Für mich war der Roman eine Art melancholischer Waldspaziergang. Die ständigen Perspektivwechsel, die vielen Charaktere und auch Zeitsprünge haben mich dieses Buch sehr langsam, sehr aufmerksam lesen lassen. Es geht um Verzweiflung, Trauer und Schuldgefühle nach dem Verlust eines geliebten Menschen, oder eines Menschen für den man sich verantwortlich fühlt. Eine lähmende Sprachlosigkeit, die die Lehrerin in den stillen Wald flüchten lässt, in dem sie nur noch in ihrer Erinnerung zu leben scheint.
Als großer Elena Ferrante Fan habe ich mich von @literarischernerd s Empfehlung (ich glaube auch, dass es eigentlich auch nur speziell mit mir gesprochen hat) sofort inspirieren lassen und noch vor Ort bei der #muenchnerbuecherschau im #hausderkunst ein Exemplar bei der @glockenbuchhandlung gekauft.
Kleiner Tipp: Um in die Stimmung einzutauchen, habe ich über Kopfhörer Forrest Sounds gehört. Unglaublich intensiv!