– Die Summe des Ganzen –
Location: Buchhandlung Dombrowsky/ Regensburg

20. April 2023
20:00 Uhr
Lesung mit Steven Uhly zu „Die Summe des Ganzen“ in der Buchhandlung Dombrowsky
Die Stimmung zu Beginn der Veranstaltung ist gespannt.
Begrüßt werden wir durch ein Mitglied des Betroffenenbeirats der Diözese Regensburg, der den Abend mit folgenden Worten eröffnet:
„Wir sind keine Opfer – wir sind Betroffene.“
Die Mitglieder des Betroffenenbeirats sind allesamt Missbrauchsopfer durch Angehörige der katholischen Kirche. Ihr erklärtes Ziel ist es Opfern von Missbrauch zur Seite zu stehen, sie zu begleiten und parallel dazu der katholischen Kirche den Kampf anzusagen und so für ein Umdenken bezüglich der unaussprechlichen Geschehen zu bewirken, sodass die Täter einer gerechten Strafe zugeführt werden.
Anschließend tritt Herr Ulrich Dombrowsky, Inhaber der Buchhandlung Dombrowsky, auf die Bühne und richtet einige Worte an uns, bevor er Herr Uhly hinaufbittet.
Der Autor Steven Uhly, geboren 1964 in Köln, studierte Literatur, leitete ein Institut in Brasilien und übersetzt Lyrik und Prosa aus dem Spanischen, Portugiesischen und Englischen.
Nachdem er Platz genommen hat bittet er zu allererst darum, dass das Licht ein wenig gedimmt wird, da er sonst die Gesichter des Publikums nicht sehen kann.
Anschließend fragt er uns Zuhörer:innen wer denn schon alles sein Buch gelesen hat. Einige Hände schießen in die Höhe, doch auch viele nicht.

Herr Uhly beschließt die Geschichte von vorne zu beginnen, denn dies haben ihm seine Kinder so beigebracht. Geschichten beginnen nicht in der Mitte oder am Ende, sie beginnen immer von vorne.
Das Thema des Buches ist nicht leicht. Es geht um Missbrauch in der katholischen Kirche. Vorfälle die seit Jahren immer wieder in den Medien zu hören, zu sehen und zu lesen sind. Es ist die Geschichte von Lucas Hernandez, der sich in einer ihm fremden Gemeinde in Madrid dem Padre Roque de Guzmán anvertraut. Der reuige Sünder sucht regelmäßig dessen Beichtstuhl auf um von seinen unkeuschen Gedanken gegenüber seinem minderjährigen Nachhilfeschüler Armando zu erzählen.
Immer wieder ertappe ich mich, wie ich das Publikum beobachte. Auch in Regensburg gab es einen großen Skandal um ungesühnte Missbrauchsfälle im Knabenchor der Regensburger Domspatzen. Auch hier wurde vertuscht, gelogen, Täter geschützt und Ermittlungen behindert.
Die Lesung ist beendet – die Gesprächsrunde eröffnet.
Auf die Frage wie die Idee zu dem Werk entstanden ist, erklärte Uhly, dass die jahrelange Berichterstattung mitunter einen Grundstein für die Entstehung gelegt hat, aber vielmehr noch die Lebensbeichte von einem der besten Freunde. Dieser offenbarte sich ihm eines Tages. Er wurde in Spanien als Kind selbst Opfer von sexuellem Missbrauch durch Kirchenvertreter. Durch die intensive Auseinandersetzung damit, wie groß die Anstrengung seines Freundes war, wieviel Kraft er aufwenden musste und welchen Kampf er ausgefochten hat um ansatzweise normal leben zu können, war letztendlich der Auslöser und Startschuss für „Die Summe des Ganzen“. Aus diesem Grund wurde die Handlung des Romans nach Madrid verlegt. Besagter Freund war auch einer der ersten Leser des fertigen Buches.

Weiter geht es mit der Frage, wie Uhlys Reaktion auf die Offenbarung des Freundes war. Dies beantwortet der Autor damit, dass er es als großen Vertrauensbeweis verstand.
Doch er konnte und kann dem Freund nicht helfen — hat ihm zur Therapie geraten. Hier spricht Uhly erstaunlich offen über seine eigenen Erfahrungen, da er selbst sich seit Jahren in Therapie begebe, da der Punkt kommt, wo Freunde keine Hilfe leisten können, da es oftmals entlastender sei, wenn eine –fremde- Person die Fragen stellt bzw. einen erzählen lässt. Freunde können nicht immer helfen, weil sie oftmals direkt Lösungen bieten wollen.
Steven Uhly versteht sich nicht direkt als Kirchenkritiker. Oftmals wird das Zölibat als Erklärung für die Gräueltaten verantwortlich gemacht. Religion sei laut ihm aber eine Stütze in der Gesellschaft, doch seine Meinung und Empfehlung zum Thema kirchliche Laufbahn formuliert er ganz konkret: alle Anwärter:innen sollten therapeutisch geprüft werden, warum sie etwas so Zentrales durch das Zölibat ausklammern möchten. Sind sie dafür geeignet ein ganzes Leben lang?
Ebenso verurteilt er die Verjährungsfrist. Sexueller Missbrauch der im Kindesalter geschah ist oftmals verjährt wenn der Erwachsene die Erlebnisse erst richtig einordnen kann.
„Hier muss unbedingt eine Gesetzesänderung vorgenommen werden“, so Uhly. „Es verjährt im Opfer nicht. Sollte es dann gesetzlich verjähren?“
Die Antwort darauf kennen wir alle.